Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
ganz für sich allein haben möchte und glaubt, dies zu erreichen, indem sie dir offenbart, daß ich eine Hure sei. Dann kannst du nicht anders, als mich zu verachten, ist doch logisch, oder? Und vielleicht bin ich es ja tatsächlich …«
»Gott, Mama, du bist wirklich lustig!«
»Es stimmt ja, ein paar Liebschaften oder Techtelmechtel hatte ich schon …«
»Hättest du die Ehe denn nicht annullieren lassen und wieder heiraten können, Mama? Hast du das etwa für uns getan, nicht wieder zu heiraten?«
»Woher stammt denn dieser noble Gedanke, von Stella? Sag bloß, von ’Ntoni! Nein, wenn ich recht darüber nachdenke, armer ’Ntoni, so muß er es sein, wo Stella doch immer sagt, daß sie nie wieder geheiratet hat, um dem Sohn keinen Stiefvater vor die Nase zu setzen … Ach, mein Jacopo, hört das denn nie auf!«
»Was hört nie auf?«
»Der Faschismus in unserem Innern. Auch in Rußland ist die ›freie Liebe‹ auf dem Rückzug, und man heiratet wieder wie einst. Aber davon sprachen wir nicht … Ach ja. Ich habe es nicht für euch getan, sondern für mich, weißt du, um mir keinen Padrone ins Haus zu holen!«
»Aber du wirst doch auch Männer kennengelernt haben, die anders sind.«
»Keinen einzigen. Bisher zumindest. Ihr vielleicht, die neuen Generationen … Die Hochzeit, Jacopo, ist ein absurder Vertrag, der Mann und Frau gemeinsam demütigt. Für mich ist es so, wenn du einen Mann triffst, der dir gefällt, liebst du ihn, bis … na ja, solange es eben dauert … Und dann läßt man einander frei, wenn möglich als gute Freunde. O Jacopo, das Gespräch mit dir ist eine wahre Inspirationsquelle für diese Hure von deiner Mutter. Weißt du, daß mir eine neue Idee über die Liebe gekommen ist?«
»Welche Idee, Mama, sag schon!«
»Wenn du gezwungen wärst, immer nur mit dir selbst zusammen zu sein, wie ginge es dir da?«
»Na, das kann ich mir vorstellen, ich würde verrückt werden vor Langeweile.«
»Genau! Ich glaube, abgesehen mal von der Sache mit den Sinnen, die noch undurchschaubarer sind, als von Schopenhauer angenommen … dann …«
»Ach, was sagt er denn?«
»Lies es selbst nach, da habe ich jetzt keine Lust zu … Abgesehen von … nein, nicht abgesehen, denn die Sinne folgen dem Verstand und umgekehrt, ich meine, man verliebt sich, weil man sich mit der Zeit allein langweilt und in eine andere Person schlüpfen möchte. Aber nicht im Sinne von Platons wunderschöner, aber geradezu fataler Idee von den getrennten Hälften, die kennst du, nicht wahr?«
»Ja, ja.«
»Man möchte in jemand ›anderen‹, jemand Unbekannten schlüpfen, um ihn kennenzulernen, ihn sich anzueignen wie ein Buch, eine Landschaft. Und dann, wenn du ihn aufgesogen hast, dich von ihm genährt hast und er Teil deiner selbst geworden ist, beginnst du dich erneut zu langweilen. Würdest du immer dasselbe Buch lesen wollen?«
»Du meine Güte!«
»Eben, du langweilst dich! Und ohne es zu wissen, fängst du an, nach jemand anderem zu dürsten, nach anderen Welten, anderen Phantasien. Klar, ein Matrose, der an Land geht, den Kopf voll mit fremden Ländern, kann ein, zwei Jahre durch dieselben Gassen laufen, aber dann packt ihn wieder die Sehnsucht nach dem Schiff, und du siehst, wie er durch den Hafen streift und seinen Blick nicht vom Meer abwenden kann. Was meinst du, ist das eine Tölpelei?«
»Ich war noch nie verliebt, wie oft warst du es, Mama?«
»Sooft wie nötig.«
»Und ich … ich weiß, daß du jetzt böse wirst, aber die Vorstellung von der ewigen Liebe zwischen Mann und Frau gefällt mir sehr.«
»Warum sollte ich da böse werden?«
»Bambú wurde böse, als ich ihr das sagte. Aber es ist schade, daß es nicht so sein kann.«
»Ja, ja, für euch Alte, die ihr nach solchen absoluten Kategorien erzogen wurdet.«
»Wir Alten, Mama! Entschuldige, wenn ich lache … ich, ich bin gerade mal fünfzehn!«
»Und dennoch bist du alt, Jacopo. Älter als ich. Und weißt du, warum?«
»Nein.«
»Weil du klüger bist, und an dem Punkt hätte ich fast Lust, dich zu fragen, ob du mich nicht als deine Tochter adoptieren kannst.«
»Gute Idee, Mama, ich dich adoptieren?«
»Würdest du ein Kind wie mich adoptieren? Stell dir vor, du würdest mich wie in deinen Träumen in ein Tuch gewickelt vor deiner Türe finden.«
»O ja, sofort!«
Der Stolz zertritt die Schlange des Schmerzes. Mit befreitem Rücken kommt Jacopo zu mir ans sonnenbeschienene Fenster und dreht mit dem sanften Druck eines Vaters mein
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