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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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redete weiter beruhigend auf ihn ein – oder vielleicht auch die Farbe meines Rocks. Ich ließ ihn gewähren, und als ich mich sicher fühlte, fing ich an zu sagen: Ich Mama, ich Mama … Irgendwer mußte den armen Kerl doch gestillt haben. Dann nahm ich seine Hand, führte sie an meine Brust und wiederholte: Mama, Mama … Und schließlich geschah etwas, das auch mich verblüffte, die ich von der Mühe, ihm das ständig zu wiederholen und ihm dabei in die Augen zu sehen, allmählich zu schwitzen begann. Kläglich preßte er zwischen den Zähnen hervor: »Maama, Maama, Maama!«
    Ich spürte, wie ein Raunen auf dem Flur der Bekanntgabe folgte: »Er hat sie Mama genannt!« Nach einem Moment der Stille hörte ich laut aus aller Munde das Wort Wunder.
    Geschafft. Ich hatte etwas in der Hand – und das war wirklich ein Wunder –, nicht, um die Berufung zu verlieren, sondern um sie auf meine Art zu verändern.
    »Also, Mädchen, wie ich gehört habe, ist dir deine Madre Leonora erschienen, und du willst deine Berufung opfern, um dich unserer Familie zu widmen?«
    Die Stimme, die so lange geschwiegen hatte, wütete nun wieder angsteinflößender als der Donner und der Regen, die draußen keinen Moment lang ausgesetzt hatten. Wenn wenigstens Beatrice bei mir gewesen wäre! Diesmal war ich allein mit der Fürstin. Ihre lachenden grauen Augen ließen meinen Blick nicht los, der umsonst versuchte, in die Ecken zu fliehen.
    »Antworte mir! Du bist wirklich richtig hübsch, wenn du erregt bist! Schade, daß das nur alle Jubeljahre einmal vorkommt. Antworte mir! Denkst du etwa, daß mirirgend etwas an deiner Berufung liegt? Wenn du es genau wissen willst: Wir glauben hier zwar an Gott, aber nur wenig, sehr wenig an die Priester und Nonnen. Und dann, wenn dich das beruhigt, ich bin froh zu wissen, daß, wenn ich sterbe – ich bin inzwischen alt, und auch wenn mir der Gedanke an den Tod nicht gefällt, muß ich mich doch ab und zu damit befassen. Wie abstoßend doch der Tod ist! –, aber wo war ich stehengeblieben? Ach so, es wäre mir lieb, wenn Cavallina und ›das Ding‹ dort oben nicht den Dienern in die Hände fielen, sondern jemandem, der, wenn auch nicht von Bluts wegen, doch Teil der Familie ist. Du sagst nichts? Auch gut. Antworte mir wenigstens darauf: Hast du ernsthaft über deine Entscheidung nachgedacht? Nicht, daß das nur ein kurzes Strohfeuer ist. Fühlst du dich wohl hier? Daß du mir hinterher nicht dem Kloster nachweinst. Du bist noch jung. Denk gut darüber nach, bevor du antwortest, denn aufgepaßt, Mädchen, ich ertrage kein Weibergeheul. Hinterher darfst du dich nicht beklagen. Hast du das verstanden? Sicher, du hast dich in diesen Monaten hier nicht einmal beklagt und jammerst nicht, aber bei euch Frauen weiß man nie! Besser für klare Verhältnisse sorgen. Klare Verhältnisse und ewige Feindschaft. Antworte mir!«
    »Ich habe es mir genau überlegt, Fürstin. Mein Platz ist hier.«
    »Gut. Dann schreibe ich morgen diesen vertrockneten Alten, daß sie dich verloren haben, und lasse mir die Aussteuer und die Mitgift zurückschicken. Ich will ein richtig freundliches, nettes Briefchen schreiben und bei dem Gedanken an die Wut und Enttäuschung lachen, die jede einzelne Zeile Madre Costanza bereiten wird. Alles lasse ich mir zurückschicken! Das heißt, daß wir dir ausder Aussteuer einige Ballkleider anfertigen lassen, denn, Mädchen, damit eins klar ist: Auch wenn du dich aufopfern mußt, laß es dir bloß nicht anmerken. Zuerst einmal: Wenn morgen der Tanzlehrer zu Cavallina kommt, wirst du auch am Unterricht teilnehmen. Walzer, Mazurka und Kontertanz, alles! Wenn du dich so entschieden hast, mußt du lernen, zu tanzen und zu lächeln, denn mir gehen lange Gesichter und mangelnde Eleganz auf die Nerven, verstanden? Und jetzt verschwinde, ich muß diese zwei Zeilen an Madre Costanza schreiben.«
    Ich hatte nur darauf gewartet, zu Beatrice zu flüchten, aber als ich schon in der Tür war, hörte ich:
    »Ach ja, und du mußt reiten lernen … und wir müssen uns um deinen verdammten Namen kümmern, Mädchen!«
    Mit schmaler, vom Mieder eingeschnürter Taille und nur von einem zarten Spitzenbüstenhalter getragenem befreiten Busen schritt ich auf Beatrice zu, die mein Kavalier bei diesem komplizierten Kontertanz aus Verbeugungen, kaum angedeuteten Umarmungen und Drehungen war. Wie durch eine Zauberei des Mieders, das mir half, mich gerade zu halten, oder durch diese Lackstiefelchen, die noch mehr glänzten

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