Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Zeit, in der er mir von Reichtum und Armut erzählt hat, aber damals war ich zu jung. Irgendwie hatte er gesagt, daß beide Leben spenden und Tod bringen konnten:
»Carmelo, den 27. März 1912.
Morgen reise ich ab. Ich mache mich wieder auf den Weg. In diesen Köpfen, deren Verstand vom Stolz verwirrt ist, ist kein Leben. Ich komme mir niederträchtig vor, die ganze Verantwortung auf Gaia abzuwälzen. Aber welchen Zweck hat es, sich gegen den Lauf der Geschichte zu stemmen? Meine Pflicht wäre es, mich zusammen mit ihr in dieses Gefängnis zurückzuziehen und ihr in der absurden Hoffnung zu folgen, man könne einen Stand aufrechterhalten ebenso wie einen Reichtum, den man den Armen geraubt hat und der schon bald von einem Bürgertum voll neuer Raffgier verschlungen wird. Und wenn es nicht das Bürgertum ist – ein Gespenst geht um in Europa. Es mag feige sein, aber ich mache mich wieder auf den Weg. Die einzige Schuld, die mein Gemüt und mein Gewissen belastet und die mich begleiten wird, ist Beatrice. Man müßte sie auf das Leben vorbereiten, sie studieren lassen; die neue Welt gehört den Ärzten, Ingenieuren und Chemikern. Ich gehe, der Rest ist Schweigen.«
Beatrice sagte, daß Jacopo ebenso gut ausgesehen hätte wie Ignazio, wenn er nicht diese krumme Haltung gehabt hätte. Von seiner Last gebeugt, wandert Jacopo über Straßen, die ich nicht kenne, über lange, dunkle Straßen ohne Bäume und Häuser. Wohin ist er gegangen?
»Siehst du, Beatrice, so macht er es immer. Erst spricht er zu mir, und dann verschwindet er.«
»Hör auf, du machst mir Angst. O mein Gott, ich habe Angst. Was hat er dir denn gesagt?«
»Viele schöne und wahre Dinge, die er uns beiden wünscht.«
»O Gott, genug davon, laß uns lieber schlafen. Nimm mich in den Arm, ich habe Angst, daß er auch mir erscheint.«
Beatrice drückt sich fest an mich. Ich habe es gern, wie sie zittert: wie ihr Zittern anwächst und in meinen Armen ganz langsam abklingt, bis ihre Hand herunterfällt oder der Druck ihres Kopfes auf meiner Brust mich in einen tiefen, traumlosen Schlaf zieht. Hinterher haben sie mir gesagt, ich hätte zwei ganze Tage und Nächte geschlafen.
41
»Ich verkaufe alles. Wie gesagt, ich verkaufe alles. Die Villa vermiete ich an die Bank. Anwalt Santangelo ist damit einverstanden, alles in Gold und die eine oder andere Aktie zu verwandeln. Danach sehen wir weiter. Bald brauchen wir sowieso einen Koffer voller Scheine, um ein Stück Brot zu kaufen. Die Villa am Meer reicht voll und ganz, und Ippolito wird das sogar guttun. Hier kann er nicht einmal auf die Straße, was seiner Gesundheit schadet. Auf Carmelo hat er immer dem Gärtner bei der Arbeit geholfen, war draußen an der frischen Luft …«
»Und das war ein Fehler! Man hat angefangen, auf den Feldern über seine Behinderung zu reden. Es ist eine Sache, sie sich vorzustellen, aber etwas anderes, sie zu sehen, Figghia. Dadurch seid ihr in der Achtung der Leute gesunken. Wenn du nach diesem Fehler noch einen weiteren begehen willst, indem du dich in dieses kleine Haus zurückziehst, wo man nicht einmal empfangen kann, wird es schwer werden, das Ansehen und die Autorität der Familie aufrechtzuerhalten.«
»Aber ich will gar kein Ansehen und keine Autorität aufrechterhalten, Carmine! Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt: Ich will auch den Grund und Boden verkaufen.«
»Den Grund und Boden? Nein, das habe ich wirklich falsch verstanden. Die selige Fürstin und ich haben dir vertraut, aber nun sehe ich, daß du eine Frau bist und obendrein noch faul. Ist dir die Arbeit schon zuviel geworden?«
»Das ist meine Sache, du verstehst es sowieso nicht. Diese Arbeit gefällt mir nicht, ich will studieren.«
»Studieren? Hat man so was schon gehört? Was soll das heißen, studieren?«
»Siehst du, du verstehst es nicht. Dann bin ich eben faul und eine Frau, wie du willst.«
»Ich sage dazu nichts mehr. Aber sobald bekannt wird, daß du verkaufen willst, werden sie sich untereinander absprechen, und du findest niemanden mehr, der dir eine angemessene Summe für das Land bietet: Ein paar Pfennige werden sie dir zahlen, wie es letzten Monat den Suormarchesa aus Serradifalco ergangen ist. Ihr Land mußte öffentlich versteigert werden, und Don Calò hat es beinahe umsonst bekommen.«
»Dann warte eben nicht bis zur Versteigerung und bis Don Calò kommt. Kauf du es doch. Führe den Plan aus, den du seit zwanzig Jahren hegst.«
»Gerissen bist du. Aber ich
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