Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
habe niemandem etwas weggenommen, ich habe mir nur das genommen, was mir aufgrund meiner Arbeit zustand, während der Fürst und seine Söhne, ohne schlecht über die Toten reden zu wollen, ihre Zeit mit gelehrten Büchern und Sternegucken vertrödelt haben. Außerdem habe ich es für meine Söhne getan.«
»Deine Söhne? Welche Söhne?«
»Ich habe zwei Söhne … Wußtest du das nicht?«
»Woher sollte ich das wissen, du hast es mir ja nie erzählt.«
»Erzählen hätte ich es dir also sollen? Man macht die Augen auf und hört zu, Figghia. Du bist schon wie die feinen Herrschaften geworden. Immer mit unnützen Dingen beschäftigt … In diesen vier Kriegsjahren war ich voller Sorge. Aber Gott hat gewollt, daß Mattia heimgekehrt ist, als du im Kindbett lagst, und in diesen Tagen kommt auch Vincenzo zurück, der als vermißt galt. Auch du hast einen Sohn, hast du das schon vergessen? Was willst du ihm hinterlassen, wenn du alles verkaufst? Vielleicht kann er sich zehn oder zwanzig Jahre lang ernähren, aber nur mit Grund und Boden kann man seinen Söhnen Ansehen verschaffen. Und du hast einen Sohn!«
»Der auch dein Sohn ist.«
»Aber nicht meinen Namen trägt.«
»Du sprichst wie der Alte, der du bist: der Name, das Ansehen! Mein Sohn wird sich mit seinen eigenen Händen einen Platz in der Welt schaffen. Wir jungen Leute sind anders.«
»Das mag sein. Aber wie du selbst gesagt hast, bin ich ein Mann vom alten Schlag, und für mich steht meine Vaterpflicht an erster Stelle. Und wo wir schon einmal dabei sind: Meine Söhne dürfen nichts von meinen Schwächen erfahren. Ein Kind bist du, nur wenig älter als Mattia.«
»Na und?«
»Wir können uns nicht mehr so wie früher treffen. Meine Söhne dürfen nichts wissen.«
Ich warf mich vor, um auf ihn loszugehen. Aber dieses Mal ließ er sich nicht von mir schlagen. Mit einer Hand hielt er mich fern und sagte dabei mit einer kalten Stimme, die ich an ihm nicht kannte:
»Nimm dich zusammen, Mädchen, die Zeit der Sorglosigkeit ist vorbei. Du hast dich still zu halten, verstanden?Und zu vergessen. Carmine hat vergessen. Immer zu Diensten, Fürstin.«
»Dieses Gemälde hier müssen wir unbedingt mitnehmen, es ist einmalig, und die Landschaft hier auch, sieh mal! Selbst wenn sie dir nicht besonders gefallen, sollten wir sie behalten. Wir können sie alle zusammen in ein Zimmer hängen. Onkel Jacopo hat immer gesagt, daß einige davon eines Tages sehr, sehr viel wert sein würden. Glücklicherweise hat er aufgeschrieben, welche. Er wußte alles über die Malerei, die Bildhauerei und die Architektur. Was für eine Befreiung, Modesta! Hast du gesehen, daß ich wieder Farbe bekommen habe, wie du es dir gewünscht hast, und daß ich außerdem zugenommen habe? Los, umarme mich und lächle! Ich kann dich einfach nicht so traurig sehen. Hoffentlich geht diese Krankheit schnell vorbei. Was hat der Arzt gesagt – Anämie? Das hat er gesagt?
Ich möchte so gern mit dir zusammen Fahrstunden nehmen. Was für eine gute Idee ist es doch gewesen, diesen Leichenwagen zu verkaufen und statt dessen ein ganz kleines Automobil anzuschaffen. Ohne Fahrer können wir uns viel freier bewegen, wir fahren selbst, stell dir vor, wie wunderbar! Aber wie geht es dir? Besser? Komm doch mal her, dieser Empire-Tisch ist wirklich schön, den will ich mitnehmen. Ich möchte aber wissen, was du davon hältst.«
Hört ihr Beatrices Stimme? Carmine ist fortgegangen, und sie hat die Leere gespürt, die er hinterlassen hat, hat gespürt, daß ich sie jetzt brauche.
Bis vor einigen Minuten hatte ich vor, die Szene, wie Carmine mich verlassen hat, zu verschweigen, denn gehört es nicht allzu selbstverständlich zum Leben, daß man verläßt oder verlassen wird? Seine Worte haben jedochgegen meinen Verstand, so wie es mit »Herzensangelegenheiten« immer ist, ihr Recht auf Leben geltend gemacht. Aber keine Sorge. Ich werde nicht in allen Einzelheiten den Kampf schildern, den jeder kennt. Ehe ich vergessen konnte, habe ich genauso gelitten wie alle anderen auch. Die Liebe ist jedoch weder absolut noch ewig, sie existiert nicht nur in ihrer vielleicht geweihten Form zwischen Mann und Frau. Man kann einen Mann lieben, eine Frau, einen Baum und möglicherweise sogar einen Esel, wie Shakespeare sagt.
Das Übel liegt in all den Wörtern, die die Tradition verabsolutiert hat, in den verfremdeten Bedeutungen, mit denen sie immer wieder neu verschleiert werden. Das Wort Liebe ist ebenso verlogen wie das Wort
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