Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
schwimmen lernen.«
    »Das ist für einen Arzt nicht sehr rühmlich, aber ich kann nicht anders als annehmen. Ich habe nur zwei Patienten, die überdies nicht einmal bezahlen … Also, kann ich den Fürsten sehen? Ist es etwas Schlimmes?«
    »Aber nein. Sein alter Arzt ist gestorben. Ihr könnt ihn morgen sehen, aber bringt Badekleidung mit. Jetzt möchte ich Euch bitten, mich allein zu lassen. Gespräche in der Sonne sind ermüdend. Guten Tag!«
    Wie ihr schon verstanden habt, habe ich, da ich nicht wußte, wie ich mit diesem Jungen umgehen sollte, die schroffe Art der seligen Fürstin nachgeahmt. Das wirkt immer. Ich merkte, wie er nach einem Moment der Unsicherheit zurück in Richtung Wald stolperte.
    Wieviel hatte ich von dieser großen alten Dame gelernt! Ich spürte sie in mir, wie sie sich in stolzer Einsamkeit erhob, während sich eine von diesem Fremden eingeschüchterte Modesta an sie klammerte. Hatte auch Gaia soviel geschrien, weil sie manchmal Angst vor denLeuten hatte, so wie ich vor diesem wortgewandten Arzt? Warum diese Angst? Ich schließe die Augen, um die Vergangenheit zu befragen, und mir kommt ein Zug von Schwestern, Alten und den alterslosen Gesichtern der Laienschwestern entgegen. Dieser Arzt war der erste junge Mann, dem ich begegnete. Ich hatte gut daran getan, ihn wiederkommen zu lassen, ich mußte diesen Zug von Gesichtern, der mir jetzt im Vergleich zu dem angespannten Blick dieses Jungen erholsam erschien, unterbrechen. Verwundert stellte ich fest, daß ich Angst vor seinem jugendlichen Alter hatte. Aber auch ich war erst einundzwanzig Jahre alt und mußte mich – Angst hin oder her – in seiner Jugend auch meiner eigenen stellen.
    »Wer war denn das?«
    »Der neue Arzt.«
    »Das glaube ich nicht. Der sieht ja aus wie ein kleiner Junge. Und selbst wenn, hast du ihn etwa so empfangen? Das geht doch nicht!«
    Ich springe auf, um sie zu ohrfeigen, aber nicht so stark wie beim ersten Mal. Jetzt weiß ich, wie ich ihr diese Vorurteile austreiben kann, die düster vom Grund zwanzigjähriger Gewohnheit in den blauen See ihres Blickes aufsteigen. Die Tränen beruhigen sie, und ob es nun aus Furcht vor mir ist oder weil sie sich mit meinen Ohrfeigen vor sich selbst gerechtfertigt fühlt, nimmt sie das Leben wieder an und ist glücklich.
    Jetzt lacht Beatrice mit diesem Arzt, den sie vorher nicht sehen wollte, sie amüsieren sich über meine unbeholfenen Versuche, mich über Wasser zu halten. Ich muß wirklich komisch aussehen, wie ich, zwei Meter vom Strand entfernt, viel Wasser trinke. Sie bewegen sich frei, indem sie dieses Meer sicher durchpflügen, und lachen,aber inzwischen gelingt es auch mir, oben zu bleiben und einige Züge zu schwimmen, jedenfalls solange der Boden zu sehen ist. Wer weiß, wann ich es schaffen werde, dorthin zu schwimmen, wo man nur dunkles Wasser sieht, das von der Sonne durchdrungen wird. Vom Boot aus hatte ich stundenlang die trägen Tentakel beobachtet, die geduldig dieses Geheimnis ausloteten. Noch ein oder zwei Monate – der Herbst war zum Glück noch weit –, und mit der Hilfe dieses Jungen hätte ich es geschafft … Sie fangen wieder an zu lachen … Sie sind am Felsen des Propheten angekommen. Dieser Fels war inzwischen mein Traum. Ich lernte, las und kümmerte mich um Eriprando, aber am Grund meines Herzens schimmerte dieser Fels wie ein Versprechen.
    Die Tage vergingen und drehten sich um dieses Versprechen, um diese Silhouette aus Lava, die manchmal nachdenklich und manchmal zornig aus einem Wasserspiegel aufragte, der vom Strand aus immer grün wirkte. Bis ich mich aus der Nähe überzeugen konnte, daß es keine optische Täuschung war: das Meer um den großen Kopf des Propheten war tatsächlich immer grün. Mit Carlos Hilfe schaffte ich es schließlich. Ich zitterte vor Aufregung über die Entfernung und weil die Luft über Nacht kühl geworden war. Gerade noch rechtzeitig, denn schon waren am Horizont große Wolken zu sehen. Auch er war aufgeregt. Er blieb mir fern und schwieg, nachdem er mir geholfen hatte, auf den Schopf des Propheten zu klettern. Er sprach nie, wenn wir allein waren, ich mußte auf Beatrice warten, um seine Stimme zu hören. Gaia hatte zu gut funktioniert … Aber jetzt konnte ich nicht mehr zurück. Vielleicht war es besser so. Ich konnte mich einfach nicht an diese Jugend und Intelligenz gewöhnen, die mit einer für mich neuen Glut und Sprache angriff. Ichmußte ihm seine Meisterschaft auf der Klaviatur der Wörter rauben, so wie

Weitere Kostenlose Bücher