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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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Irmingast waren keine Verbündeten. Sie waren Gegner! In der Welt hinter dem Schrank kämpften sie um die Macht. Der Hirte und die Kaiserin.
    Vielleicht wusste es Alma nicht einmal, schoss es Jonas durch den Kopf. Vielleicht hatte sie gar keine Ahnung, dass Irmingast sich vor oder nach ihr ins Spielzimmer schlich. Ruben jedoch musste es gewusst haben. Du bist nicht 12. Du bist 13! Die geheimnisvolle erste Botschaft, die er Jonas noch bei Brand zugesteckt hatte, machte plötzlich Sinn. Der Zettel sollte Jonas vor Irmingast schützen – dem Hirten. Aber warum ließ Irmingast Ruben jetzt am Leben? War Ruben seine Geisel?
    »Die Zeit ist gekommen!«, hörte Jonas den Hirten jetzt mit Irmingasts Stimme rufen. Mühsam hob er den Kopf.
    Irmingast streckte die Hände wieder gen Himmel. »Habt ihr gewartet?«, rief er den Jüngern zu.
    »JA«, kam es als heiseres, vielstimmiges Flüstern zurück.
    Irmingast hatte auf ihn geschossen, durchfuhr es Jonas. Claras Testament bedeutete dem Pfarrer nichts, wenn er Almas heimlicher Gegner war. Aber warum hatte Irmingast auf ihn geschossen? Warum?
    »Habt ihr gehofft?«, rief Irmingast jetzt.
    Weil er zwölf war? Eigentlich hätte Irmingast das gar nicht wissen können.
    »JA«, raunten die Jünger.
    Nur weil er zwölf war? Jonas war damals noch nicht einmal im Spielzimmer gewesen . Er hatte von Cores Prophezeiung noch nicht einmal gewusst .
    »So seht die Macht des Hirten!«, brüllte Irmingast. Er drehte sich auf dem Podest herum. Seine Hände wiesen jetzt genau auf den alten Königspalast.
    Jonas’ Blick wanderte für einen Moment zu Faramund hinüber, der still vor dem Podest verharrte. Warum hatte sich einer der Sieben Irmingast angeschlossen?
    Die Jünger beteten wieder. » Hirte! «, bellten sie. » Stürzt die alte Welt ein, Hirte! Wird die Deine bald sein .«
    »SEHT SEINE MACHT!«, brüllte Irmingast noch einmal und seine Stimme überschlug sich.
    Ein gewaltiges Knacken folgte, so gewaltig, als würde der Himmel bersten. Jonas schaute zum Palast hinüber. Von dieser Seite war der Lärm gekommen. Es knackte noch einmal. Vom Palast puffte eine Staubwolke auf, die Fassade verrutschte wie ein Lächeln, das sich in Entsetzen verwandelt.
    »SEHT SEINE MACHT!«, schrie Irmingast in irrer Begeisterung. »SEHT!«
    Die Säulen des Königspalasts brachen wie Zweige, dann geriet die gesamte Fassade ins Rutschen. Selbst oben auf dem Dach des Theaters war der Lärm ohrenbetäubend. Eine riesige Wolke aus Schutt stieg jetzt auf, in der das Gebäude langsam versank. Ohne dass Irmingast ihn auch nur berührt hätte, stürzte der Palast in sich zusammen.
    Die Jünger auf dem Platz stöhnten vor Entzücken.
    Jonas starrte auf Irmingast hinab. Wie konnte das sein? Dann sah er ratlos zu Lubbe hinüber. Doch der Faun wirkte wie versteinert. Konnte Irmingast zaubern?
    Als der Staub sich gelegt hatte, ragte da, wo eben noch Leopolds Palast gestanden hatte, bloß noch ein Berg unkenntlicher Trümmer auf.
    »Eure Hoffnungen«, rief Irmingast jetzt, »werden erfüllt. Ihr habt nicht vergebens gewartet.« Er hielt inne, um die Arme wieder zum Himmel zu strecken. Als er den Kopf in den Nacken warf, spiegelte sich der fahle Himmel in seinen Brillengläsern. »Erst die Stadt …«, rief er dann. Fast sang er es.
    »DIE STADT«, flüsterten die Jünger im Chor.
    »Dann das Schloss …«
    »DAS SCHLOSS«, antworteten die Jünger.
    »Schließlich der Wald …«
    »DER WALD …«
    »… und die Welt!« Irmingast ließ die Arme sinken.
    Einen Augenblick herrschte Stille.
    »So hört mich!« Irmingasts Ton war jetzt schärfer als zuvor, schneidend. »Brecht auf und zieht durch die Berge und über den See! Brecht auf, damit auch Kanaria unser werde.«
    »KANARIA«, kam es heiser zurück.
    »KANARIA!«, schrie Irmingast.
    »KANARIA!«, krächzten die Jünger.
    »So nehmt meinen Segen.« Irmingasts Hände strichen durch die Luft, wieder und wieder. Unten am Fuß des Podests schwenkte Faramund sein Weihrauchfass. Die Jünger erhoben sich und begannen erneut zu beten.
    »Grundguter Hirte,
    Halt die Hand über uns,
    Segne, schütze, schaffe uns,
    Schalte, walte,
    Du willst, Du weißt,
    Sind wir, dann sind wir,
    Was Du uns heißt.«
    Auf einmal war der ganze Platz in Bewegung. Während Irmingast reglos auf seiner Bühne verharrte, schlossen die Jünger ihre Reihen, trieben die Gefangenen zusammen, und dann setzte sich ihr Tross langsam stadtauswärts in Bewegung. Die Ersten verschwanden schon unter dem grauen

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