Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
Vom Netzwerk:
Brust hob und senkte sich schnell. Er war gelaufen. Jonas hatte ihn schon von weitem eilig heranklappern hören. »Wir kommen da nicht raus, Jonas Nichts«, sagte der Faun atemlos. »Ich habe so was noch nicht gesehen! Der ganze Platz ist voller Jünger! Sie haben ein Podest gezimmert. Hol mich der Henker, aber ich habe noch nie so viele Jünger auf einem Haufen gesehen!«
    Jonas’ erster Gedanke war, dass sie ihn suchten. Sein zweiter galt Ruben. »Ein Podest?« Er dachte an den Prozess in Kanaria, und ihm wurde noch viel kälter, als ihm ohnehin schon war.
    Lubbe nickte aufgeregt.
    »Was für ein Podest?«
    Der Faun kratzte sich den Bart. »Eine Bühne, würde ich sagen. Aber kann schon sein, dass ich Bühnen sehe, wo gar keine Bühnen sind. Berufskrankheit.«
    Jonas stand auf. »Zeig mir das«, sagte er und wunderte sich selbst, wie fest seine Stimme klang; fast so, als hätte er Lubbe gerade einen Befehl gegeben.
    Sie liefen durch den Korridor, aber diesmal ging es nicht über die Bühne, sondern eine schmale eiserne Wendeltreppe hinauf. Höher, immer höher stiegen sie, Lubbe donnernd voraus, als scherte ihn der Lärm, den er machte, gar nicht. »Da ist etwas im Schwange, Jonas Nichts«, keuchte der Faun immer wieder. »Oh ja!« Er war ganz außer sich.
    Die Wendeltreppe endete an einer Luke, die Lubbe mit einiger Mühe aufstemmte. Kaltes graues Tageslicht kroch durch den Spalt, draußen roch es nach einem feuchten, frühen Morgen. Sie kletterten hinaus. Ringsum Schornsteine, verteilt über ein von Regenpfützen übersätes Dach, so weit und so flach wie ein Feld.
    »Höher geht’s nicht«, japste Lubbe.
    Jonas klapperten die Zähne. Er schlang die Arme um die feuchte Kutte und sah sich um. Zu seiner Rechten lag das Kloster, die Türme wie zum Greifen nah. Nach vorn und zur anderen Seite hinaus sah er über die schäbigen Dächer der Flüsterstadt hinweg bis zur weit entfernten Stadtmauer. Der Regen hatte aufgehört, doch der Wind trieb immer noch einen Brei aus Wolken vor sich her. Von der Sonne keine Spur, der Himmel milchig. Jonas war müde, nervös und er fühlte sich krank.
    »Da lang«, raunte Lubbe und trabte voraus.
    Jonas konnte dem Faun nur noch mit Mühe folgen. Als er zum Rand des Daches robbte, Lubbe hinterher, taten ihm alle Knochen weh.
    Sie waren verdammt weit oben. Als Jonas auf den Platz hinuntersah, wurde ihm flau. Als er begriff, wie viele Jünger sich dort unten versammelt hatten, schloss er die Augen. Vielleicht waren es hundert, vielleicht waren es mehr. Er schluckte schwer, bevor er wieder hinsehen konnte. Mitten auf dem weiten Platz hatten sie tatsächlich ein Podest gebaut, um das sie nun in langen Reihen standen, die Hände in den Ärmeln, die Köpfe unter ihren Kapuzen verborgen. Keiner von ihnen rührte sich. Dort unten herrschte eine garstige Stille.
    »Frag mich nicht, Jonas Nichts.« Lubbe lag neben ihm und schüttelte den Kopf. »Frag mich nicht, was da vor sich geht.«
    Jonas sah den großen Platz zum ersten Mal im Licht. Ais Tempel diagonal gegenüber der Tempel Cais, schmutzig braune Ruinen beide, traurige Häuflein in den Winkeln des enormen Platzes, die Stümpfe der zerbrochenen Säulen wie die Latten eines Zauns. Für die Schutzgeister führte kein Weg nach Callamaar zurück. Dem Theater schräg gegenüber lag Leopolds alter Palast, farblos und kalt. Nicht mehr als eine leere Hülle war von ihm geblieben, Hunderte toter Fenster, dahinter verlassene Räume.
    Faramunds Jünger starrten unverwandt in Richtung Kloster. Jonas folgte ihrem Blick. Zunächst blieb das große Tor geschlossen, dann jedoch schwang es wie von Geisterhand auf. Was nun vom Platz aufstieg, klang wie ein vielstimmiges Stöhnen. Alle Klostertore, eins hinter dem anderen, standen jetzt offen, und Jonas kam es vor, als sähe er in einen tiefen Schlund.
    Der Wind strich über sein Haar und auf dem Dach zitterten die Pfützen. Quälend lange geschah nichts, bis der Klosterschlund noch mehr Jünger ausspuckte. Jonas sah, wie sie Mauerring für Mauerring, Tor für Tor näher kamen. Diesmal jedoch waren sie nicht allein. Noch bevor sie den großen Platz erreicht hatten, erkannte Jonas den traurigen Haufen in ihrem Gefolge – zerlumpte Gestalten, die Köpfe gesenkt, die Rücken gebeugt. Bald hörte er die Ketten der Gefangenen klirren, ein heller, unter dem undurchsichtigen Himmel verlorener Ton.
    Je näher sie dem Podest kamen, desto besser konnte Jonas sie erkennen. Alben mit schimmerndem Haar, große,

Weitere Kostenlose Bücher