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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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die wir von deiner großen Güte empfangen.«
    Inbrünstig fiel Alma ein. »Gib uns Gnade und Gedeihen, dass wir all deine Gaben dir zur Ehre und zur Wohlfahrt gebrauchen.«
    Jonas kannte das Tischgebet nicht. Tonlos bewegte er die Lippen.
    »Und auch von deiner Liebe niemals geschieden werden. Durch Christus, unseren Herrn.«
    »Durch Christus, unseren Herrn!«, echote Alma.
    »Guten Appetit allerseits!« Irmingast faltete seine Serviette auseinander und breitete sie über seinen Schoß. Dann griff er nach seinem Besteck, hielt einen Augenblick inne und sah Jonas an. »Guten Appetit.« Das klang wie ein Befehl.
    Jonas unterdrückte ein Würgen. Ein einsames, milchig gekochtes Fischauge starrte ihn an, unendlich traurig und ein wenig grausam dazu.
    »Weißt du …« Auf Irmingasts großer Gabel lag das erste Stück weißlichen Fleischs. »Diese Forellen …« Er zeigte seine Zähne und schob sich die Gabel in den Mund.
    Jonas schauderte.
    »Diese Forellen«, sagte Irmingast mit vollem Mund, »kommen aus dem Teich hinter dem Haus. Bist du da schon gewesen?«
    Jonas schüttelte kraftlos den Kopf. Der Fisch auf seinem Teller drohte ihm. Gegenüber klapperte Alma eifrig mit ihrem Besteck. Offensichtlich war ihr der Hunger doch nicht vergangen.
    »Dein großer Freund Ruben kümmert sich um den Teich. Und die Fische. Ruben ist doch dein Freund. Oder?« Irmingast kaute geräuschvoll.
    Jonas nickte schwach und kam sich gleich wie ein Verräter vor. Wollte der Pfarrer ihn aushorchen? Was ging ihn Ruben an?
    »Jetzt iss doch endlich!« Irmingast klappte auf seinem Teller ein Stück glitschiger Fischhaut zurück. »Es wäre unhöflich, das Essen nicht einmal anzurühren, mein Junge.«
    Jonas sah verzweifelt neben seinen Teller. Links von ihm lag eine Gabel, aber das Gerät rechts hatte er noch nie gesehen. Es war kein richtiges Messer. Eher sah es wie ein schmaler Tortenheber aus.
    »Natürlich! Er ist auch noch undankbar!«, fauchte Alma und schickte ein Fitzelchen Fischfleisch auf die Tischdecke. »Dem Habenichts ist das Essen wohl nicht gut genug.«
    Jonas griff nach der Gabel und zerteilte zitternd eine Kartoffel. Irmingast goss sich Wein nach. »Als ich so alt war wie du«, sagte er und ließ den Wein im Glas kreisen, »habe ich nicht solche Köstlichkeiten zu essen bekommen.« Er nahm einen Schluck. »Als ich zwölf war, Kleiner, gab es an manchem Tag nur trocken Brot.«
    Jonas fasste die Gabel so fest, dass seine Fingerspitzen weiß wurden, und starrte dem Fisch ins trübe Auge. »Ich bin nicht zwölf, Hochwürden«, sagte er mit festerer Stimme, als er sich selbst zugetraut hätte. »Ich bin schon dreizehn.« Zum ersten Mal an diesem Abend sah Jonas Irmingast ins Gesicht. »Wissen Sie das nicht mehr?«
    Der Pfarrer lächelte. »Vergebung«, sagte er leise. »Wie komme ich nur darauf, dass du zwölf bist?« Er stellte sein Glas ab und begann wieder, seinen Fisch zu zerteilen. »Hast du nicht gestern Abend gesagt, du wärest zwölf? Doch, doch, ich erinnere mich genau. Gestern Abend in der Halle. Zwölf.«
    »Nein, Hochwürden. Ich bin schon im Herbst dreizehn geworden.«
    »Und wer sind deine Eltern?« Irmingast schoss die Frage ab wie einen Pfeil. Die Brillengläser waren unverwandt auf Jonas gerichtet.
    Jonas schob seinen Teller ein Stück von sich. »Ich weiß es nicht, Hochwürden«, sagte er leise.
    »So?« Irmingast spießte eine Kartoffel auf. »Und wie bist du zu diesem Wirt gekommen?«
    »Genau!«, rief Alma. »Wie bist du denn zu diesem Wirt gekommen?« Almas Teller war beinahe leer. Über das Fischgerippe mit dem verwaisten Kopf funkelte sie Jonas an. Ihr Blick war unverstellt gemein.
    Jonas spürte, wie er rot wurde. Er durfte Ruben auf keinen Fall erwähnen und überlegte fieberhaft. »Ich …«, fing er an, noch bevor er wusste, was er sagen sollte. »Ich habe auf der Schwelle gelegen.« Das klang nach einer der Geschichten, die Elsa erzählte, und genau da hatte Jonas seine Antwort auch her.
    »Ach!« Irmingast legte ungläubig den Kopf schief. »Und wer hat dich dorthingelegt? Auf diese Schwelle? Das war doch nicht etwa der Storch?« Der Pfarrer lachte höhnisch und Jonas kam ein Verdacht. Wusste Irmingast mehr über ihn als er selbst? Vielleicht fragte Irmingast gar nicht, um Antwort zu bekommen, sondern um zu prüfen, wie viel Jonas wusste. Vielleicht …
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Jonas, eigentlich für sich.
    »Ein Bastard eben.« Alma legte das Besteck auf ihren Teller und tupfte sich mit

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