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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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Gemäuers.

Das 6. Kapitel
Brotteig, Sand und Leim
    Und ich werde nicht mit diesem Jungen essen! Er verdirbt mir den Appetit!« Alma stampfte wütend auf. Ihre vielen Röcke rauschten dazu. »Er macht mir ein Magengeschwür, dieser … dieser … Erbschleicher!«, fauchte sie.
    Jonas stand im Türrahmen des Speisezimmers, die Hände schüchtern vor dem Bauch verschränkt, den Blick gesenkt. Jetzt machte er einen Schritt rückwärts. Er kämpfte seit Stunden mit den Tränen, und seit er die Kutsche mit Ruben auf dem Bock und Peregrin Aber im Schlag die Auffahrt hatte hinunterrollen sehen, hatte er diesen Kampf schon mehr als einmal verloren. Quälend langsam war die Kutsche verschwunden. Ewig noch hatte er sie sehen können, ein schwarzer Fleck unter dem drückenden Himmel.
    »Er soll fort! Fort! Fort! Fort!« Alma war außer sich. Sie stand vor dem prächtig gedeckten Tisch und ihr Speichel regnete auf die Porzellanteller, das schwere, silberne Besteck und das im Kerzenlicht funkelnde Kristallglas. Eine eisengraue Strähne hatte sich aus der Haarschnecke über ihrem Ohr gelöst.
    Jonas trat noch einen Schritt zurück und stieß gegen Tabbi, der es nur mit Mühe gelang, die dampfende Schüssel, die sie trug, nicht fallen zu lassen. »Junge!«, flüsterte sie erschrocken.
    Jonas hatte das furchtbare Gefühl, weder vor noch zurück zu können. Er zog den Kopf ein und tastete nach der kleinen Beule in seiner Hosentasche. Dort lag der Wieflinger in einem raschelnden Bett aus drei Zetteln. Im Kopf setzte Jonas zusammen, was auf ihnen stand: Jonas Nichts. Egal, wer dich fragt: Du bist nicht 12. Du bist 13! Ich beschütze dich. Nur war Ruben eben nicht da.
    »Weg mit dir! Weg mit dir, du Bastard!« Almas Hals hatte sich rot verfärbt und war zu seinem doppelten Umfang angeschwollen. Die Perlenkette, die sie für das Abendessen umgelegt hatte, spannte. Passende Ohrringe zogen ihre Ohrläppchen lang. Jonas ekelte sich vor Alma.
    »Aber, Baroness!« Irmingast, der bislang still am Tisch gesessen hatte, erhob sich. »Lassen Sie den armen Jungen doch Platz nehmen«, sagte er beschwichtigend.
    Almas Mund schnappte auf und zu.
    »Es ist unsere Christenpflicht, Baroness.«
    Alma stieß einen Laut der Empörung aus, ließ sich aber vom Pfarrer den Stuhl zurechtrücken und setzte sich schnaufend auf ihre Röcke.
    Irmingast entblößte seine schrecklichen Zähne und bedachte Jonas mit einem gefährlichen, blicklosen Lächeln. Einmal mehr waren seine Brillengläser undurchdringlich. Kerzenschein, sonst nichts. »Komm, Junge!«
    Jonas blieb stocksteif stehen, bis Tabbi ihm einen mitleidigen Schubs gab. Mit klopfendem Herzen und heißen Wangen setzte er sich. Er wusste nicht, wohin mit seinen Augen, und starrte auf den schimmernden Teller.
    Alma saß ihm gegenüber und schwieg bedrohlich. Am Kopfende des Tischs goss sich Irmingast ein Glas Wein ein. Tabbi in ihrer frisch gestärkten Schürze legte Kartoffeln vor und verschwand mit einem schwachen Luftzug.
    Jonas hielt den Atem an.
    »Nun, junger Mann?« Irmingasts Stimme triefte vor Freundlichkeit. »Gefällt es dir in Wunderlich?«
    Jonas brauchte eine Ewigkeit, bis er ein »Ja« herausbrachte, eine für jeden am Tisch offensichtliche Lüge. Unter der Tischdecke knetete er seine Hände.
    »Nicht so schüchtern!«, rief Irmingast in einem Ton, als würde er gerade jemandem auf die Schulter klopfen.
    »Jetzt, wo der schäbige Advokat fort ist, kriegt er’s wohl mit der Angst!«, keifte Alma dazwischen. »Fühlst dich nicht mehr wohl in deiner Haut, was? Was? – Bube?«
    Jonas wagte nicht, zu ihr hinüberzusehen.
    Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Tabbi zurück. Sie balancierte ein schweres Tablett.
    »Ah!«, rief Irmingast aufgeräumt. »Was ist es denn, Tabbi?«
    »Forelle blau, Hochwürden.« Tabbi stellte das Tablett vorsichtig auf den Tisch. Zwischen welken Petersiliensträußchen dampften drei große, blassgraue Forellen. Ein leichter Essiggeruch stieg von den Fischen auf. Jonas spürte, wie sich sein Magen zu einem kleinen, harten Ball verkrampfte.
    »Das wird dir schmecken!« Irmingast blähte schnuppernd die Nasenlöcher.
    Mit einem ekelhaften Schmatzen landete eine der Forellen auf Jonas’ Teller. Tabbi hatte sie ihm vorgelegt, aber es kam Jonas vor, als wäre der Fisch gesprungen. Er sah so biegsam und zugleich fest aus, als wäre er noch am Leben.
    Irmingast faltete mit ernster Miene die Hände. »Himmlischer Vater«, murmelte er. »Segne uns’re Speis und Trank,

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