Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
wissen ja, Herr Doktor, wie er ist. Alles, was die verstorbene Baroness, Gott hab sie selig, ihm aufgetragen hat, ist ihm heilig. Aber ich weiß nicht, Herr Doktor, ob das richtig ist. Ich weiß nicht, ob Ruben dem jungen Herrn Nichts damit dient.
Der junge Herr Nichts, müssen Sie wissen, hat nämlich gestöbert und einiges Sonneberger Spielzeug gefunden, und ich muss zugeben, ich habe ihm auch geholfen dabei, als Ruben nicht da war. Und der junge Herr Nichts macht nun viel Aufhebens um dieses Spielzeug. Ich glaube, er denkt den ganzen Tag daran und überlegt sehr viel, was man ihm auch nicht verübeln kann, schließlich weiß der arme Bub ja gar nicht, wes Kind er ist, und wüsste es doch sicher gern. Was die Herkunft des jungen Herrn Nichts aber wieder mit dem Spielzeug zu tun hat, kann ich nicht verstehen, und ich glaube, er selbst versteht’s auch nicht.
Herr Doktor! Sie müssen nach Wunderlich kommen! Ich weiß mir nicht mehr zu helfen! Dass die Baroness und Hochwürden nicht da sind und doch da sind, das macht mich noch ganz verrückt! Und Ruben kann doch nicht immer so weitermachen und aufpassen wie ein Luchs und alle Geheimnisse bewahren, als könnte er sie totschweigen! Herr Doktor! Sie müssen kommen! Die verstorbene Baroness, Gott hab sie selig, hat Ihnen den Jungen anvertraut. Ich fürchte um den Jungen!
Tabbi, Köchin
PS
Ich weiß gar nicht, wie ich diesen Brief auf die Post befördern soll. Ruben wird ihn nicht besorgen, weil er den jungen Herrn Nichts nicht aus den Augen lässt. Ich bin ganz verzweifelt.
Das 11. Kapitel
Lauf, Jonas, lauf!
Aaa?«, fragte Jonas und sah in Rubens Rachen.
Rubens Lippen zogen sich zu einem Lächeln auseinander. Er schüttelte den Kopf. Dann formten seine Lippen wieder denselben Laut. Sie spitzten sich dabei.
Jonas formte die Bewegung mit seinen Lippen nach. »Ooo«, sagte er.
Ruben nickte. Dann fing er wieder von vorne an. Erst presste er die Schneidezähne auf die Unterlippe und schob den Unterkiefer dann ein wenig vor.
»Fo…«, sagte Jonas. »Forelle!« Darauf hätte er auch früher kommen können.
Ruben lachte stumm, und Jonas, die Hände in den Taschen seiner Joppe vergraben, setzte vorsichtig einen Fuß auf den Teich. Das Eis unter der Schneedecke knirschte. Noch war es nicht sehr dick.
»Vielleicht trägt es ja bald«, sagte Jonas. »Dann könnten wir Schlittschuh laufen.« Das hatte er noch nie getan, aber einmal hatte er die Kinder auf dem Dorfteich Schlittschuh laufen sehen. Im Sommer hatte er in diesem Teich schwimmen gelernt. An einem guten Tag mit einem aufgeräumten Brand.
Ruben reagierte nicht. Sein Blick war zum Südflügel hinüber gewandert und suchte die Fassade ab. Aber im Haus rührte sich nichts. Wunderlich war so grau und verschwiegen wie der Himmel.
»Habt ihr überhaupt Schlittschuhe?« Seit Ruben zurück war und ihm nicht mehr von der Seite wich, hatte Jonas gelernt, dass er am besten solche Fragen stellte, auf die man mit ja oder nein antworten konnte. Das machte das Gespräch zwar etwas einseitig, hielt es aber immerhin in Gang.
Ruben zuckte mit den Schultern.
Jonas fragte sich, wie lange sie hier draußen die Zeit totschlagen konnten. Und wo sie danach die Zeit totschlagen würden. Es war schwierig, mit jemandem zusammen zu sein, der gerade über das, was drängte, nicht reden wollte.
Jonas machte noch einen Anlauf. »Wo sind Alma und Irmingast?« Es machte doch keinen Sinn, nicht darüber zu sprechen.
Ruben starrte auf den zugefrorenen Teich.
»Sind sie im Spielzimmer, Ruben?« Andererseits gab es Anzeichen, dass wenigstens einer von ihnen im Haus gewesen war. Tabbi schwor Stein und Bein, dass sie Schritte gehört hatte.
Ruben legte einen Finger an die Lippen.
Jonas wandte sich ärgerlich ab. Es war hoffnungslos. Den ganzen Tag schon hatte er Ruben zu löchern versucht und war doch jedes Mal an ihm abgeprallt.
Was war mit dem Leuchter, Ruben?
Wovor musst du mich beschützen, Ruben?
Warum darf ich nicht ins Spielzimmer?
Wo hast du mich damals hergeholt, Ruben?
Warum darf ich nicht sagen, dass ich zwölf bin?
Wer sind meine Eltern?
Jedes Mal nichts.
Claras winziges Heft hatte Jonas erst gar nicht erwähnt. Er war sich fast sicher, dass Ruben es ihm wegnehmen würde. Und dass er nichts von den Sonneberger Figuren sagen würde, hatte er Tabbi versprochen.
Dabei konnte Jonas sehen, wie angestrengt Ruben nach einem Ausweg suchte. Ständig lag seine Stirn in Falten und Jonas hätte gern Gedanken gelesen.
Er bohrte
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