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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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stolperte er Ruben hinterher in den Innenhof.
    Wieder fiel ein Schuss.
    Jonas schrie. Aber er war nicht getroffen und auch Ruben war unversehrt.
    Sie hetzten durch den Schnee, auf den Turm zu. Den Stachel.
    Aber warum? Der Turm war eine Falle! Es gab nur die eine Tür! Nur einen Weg hinein und dann keinen mehr heraus.
    Jonas stürzte auf den Stufen und rappelte sich wieder hoch. Ruben hatte den Ärmel seiner Joppe gefasst, drückte mit der anderen Hand die Tür auf, zog Jonas hinein und schlug die Tür zu. Keuchend lehnte er sich gegen sie, unter dem schweren Mantel hob und senkte sich seine Brust. Das Haar hing ihm wirr ins Gesicht.
    Jonas stand stocksteif. Hier kamen sie nicht mehr heraus. Der Turm war ein Gefängnis.
    Ruben deutete mit dem Finger auf seine Lippen, damit Jonas von ihnen las, aber Jonas war viel zu aufgeregt. Er versuchte, sich zu beruhigen, aber davon schlug sein Herz bloß noch viel schneller. Rubens Mund war nur ein schwarzes Loch. Jonas zitterte am ganzen Leib.
    »Ich verstehe nicht!«, schrie er. »Ich verstehe nicht!« Dann fing er an zu schluchzen.
    Ruben fingerte in seiner Manteltasche, dann kniete er sich hin. Zwischen seinen Fingern zitterte ein Zettel, er hatte einen Bleistiftstummel in der Hand.
    Jonas bebte, während er zusah, wie Ruben einige wenige Worte schrieb. Steil fielen sie nach unten ab. Rubens Fingernägel wurden ganz weiß, so fest hielt er den Stift.

    In Jonas krampfte sich alles zusammen. Zum ersten Mal sah er sich um. Sie waren in einem Vorraum, um sie herum nichts als nacktes Mauerwerk. Zwei Schritte entfernt schraubte sich eine steinerne Wendeltreppe empor.
    Aber er war wie gelähmt. Er konnte Ruben nicht allein lassen. Er …
    Geh in den Schrank? War das ein gutes Versteck?
    Ruben drückte Jonas’ Hand, einmal bloß, ganz kurz und sehr fest. Seine Lippen bewegten sich wieder. Unendlich langsam formte Jonas die Bewegung nach.
    »Lauf!«, flüsterte er, und dann stolperte er schon die Treppe hoch, die Hand an die eiskalten Steine der Mauer gepresst. Er sah noch, wie Ruben sich gegen die Tür drückte, dann schluckte ihn die erste Wendung der Treppe. Er hörte sich keuchen. Er spürte seine Beine nicht. Aber sie liefen.
    Augenblicke später hatte er einen Treppenabsatz erreicht und sah die Tür. Krumm hing sie in den Angeln und er zögerte, aber dann fasste er die schwarz angelaufene, eiserne Klinke. Das Türblatt schabte über den Stein, der Raum dahinter war kalt und lag im Halbdunkel. Jonas zwang sich einzutreten. Er war darauf gefasst, Alma oder Irmingast zu begegnen, aber der Raum war leer. Nur ein wenig trübes Tageslicht zwängte sich durch die Ritzen der geschlossenen Blendläden. Es fiel auf einen zerschlissenen Teppich, einen Tisch und zwei Stühle. An den nackten Wänden waren Regalbretter angebracht. Überall stand Spielzeug. Auf dem Teppich, auf dem Tisch, auf den Regalen. Jonas entdeckte ein Pferd auf Rädern und ein staubbedecktes Puppenhaus. Auf dem Tisch lagen verblichene Bastelbögen, in das wirre Haar der Porzellanpuppen auf dem Regal waren die Motten gefallen. Hier hatte seit Jahren niemand mehr gespielt.
    Der Schrank war ein großes, dunkles, von Alter und Feuchtigkeit verzogenes Ding. Misstrauisch durchquerte Jonas den Raum, bis er vor ihm stand. Das Holz des Schranks war im Halbdunkel fast schwarz. Von den großen Spiegeln, die einmal die Schranktüren geschmückt hatten, war nicht mehr als eine halbblinde Scherbe übrig. Eine Schrecksekunde lang sah Jonas sich selbst, ein seltsam verwischtes, schmales Gesicht unter dem fransigen Haar, ein Auge sichtbar heller als das andere. Ein Stück weit darunter steckte ein großer grauer Schlüssel in einem einfachen Schloss.
    Geh in den Schrank. Geh in den Schrank?
    Wie gebannt, so als würde keine Zeit vergehen, starrte Jonas auf die seltsam schimmernde Ritze, an der die beiden Türen des Schranks aufeinandertrafen. Nur ein kleiner Riegel hielt sie zusammen. Leise schlugen die Türen gegeneinander, ganz so, als rüttelte jemand daran.
    Jonas hörte sich flüstern. Lauf!
    Er griff nach dem Schlüssel, der Ring schmiegte sich in seine Hand. Er spürte den leisen Widerstand, als der Schlüsselbart gegen die verborgenen Stifte drückte. Dann gab das Schloss mit einem Knacken nach. Knarzend schwangen die Türen auf und ein warmer Wind griff nach Jonas’ Haar.
    Der Anblick verschlug ihm den Atem. Hinter den Türen, im Innern des Schranks, erstreckte sich eine Graslandschaft. Die Wiesen waren märchenhaft grün.

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