Die unwillige Braut (German Edition)
plötzlicher Wut erfasst, versetzte sie der Tür einen Tritt und zuckte vor Schmerz zusammen, ehe sie in die warme Dunkelheit der Kemenate trat.
Spät erst dämmerte in diesen Herbsttagen der Morgen herauf, und alle im Haus waren bereits auf den Beinen, ehe es für Rhoese hell genug war, um in die Wälder zurückzugehen und das mit Leinen umwickelte Bündel aus seinem feuchten Blätterversteck zu holen. Zu ihrer Beruhigung fand sie es heil und unbeschädigt vor. Vergangenen Abend, als sie plötzlich Angst bekommen hatte wegen des unerwarteten Interesses an dem Umstand, dass sie die Eigentümerin eines blühenden Anwesens war, hatte sie das Bedürfnis verspürt, diesen kostbaren Schatz an einen sichereren Ort zu bringen. Gewiss würde Pater Leofric den Wert eines in Leder gebundenen, mit Juwelen verzierten Evangeliars erkennen, dessen Seiten gefüllt waren mit keltischen Schriftzeichen und wunderschönen Zeichnungen, die geschickte Nonnen im vergangenen Jahrhundert angefertigt hatten. Es gab nur ein Nonnenkloster, deren Bewohnerinnen ebenso gebildet waren wie die Mönche. Das war Barking in Essex, viele Meilen von York entfernt. Doch kein gewöhnlicher Sterblicher hatte jemals so einen Gegenstand besessen, der zum Lobe Gottes gefertigt war und nur von heiligen Männern und Frauen benutzt werden sollte. Und von Königen. Wenn man es jemals in ihrem Besitz finden sollte, müsste sie eine sehr überzeugende Erklärung vorbringen, warum sie es besaß und, wichtiger noch, warum sie es nicht umgehend den dafür zuständigen Obrigkeiten übergeben hatte. Die kurze Freude, die sie erleben durfte, weil ihr dieses Ding gehörte, war lange schon verdrängt worden von der Furcht, damit entdeckt zu werden. Sie presste das Bündel so fest an sich, als wäre es ein Kind.
Sobald sie sich bückte, um den Boden abzusuchen, bemerkte sie die großen Hufabdrücke. Dann die Fußspuren. Dort stand die Eiche. Und hier war der verrutschte Absatzabdruck entstanden, während sie versucht hatte, das Gleichgewicht zu halten. Und nachdem sie die Augen geschlossen hatte, fühlte sie erneut den erschreckend zärtlichen und ungehörigen Druck gegen ihren Leib, fühlte seine Hände, wo sie nicht hingehörten. Hände, die sie vergessen sollte, anstatt sich an sie zu erinnern. Ihr Herz schlug schneller, als sie daran dachte, wie sich sein Mund auf ihren gepresst hatte, und sie hielt den Atem an, bis das Zittern vorüber war. "Männer", flüsterte sie, "hinterhältige Männer."
2. Kapitel
Kettis Haus, Bootham, York
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit traf der Abgesandte des Sheriffs Gamals Witwe in ihrem großen Haus in der Nähe der Abtei St. Mary's an. Er musste seine Botschaft schnell überbringen, wenn er noch heimkehren wollte, ehe die Stadttore bei Sonnenuntergang geschlossen wurden.
Zu seinen Füßen bildete sich eine große Wasserlache, während er seine höchst unwillkommenen Neuigkeiten zwar nicht eben mit Vergnügen, aber doch ohne jedes Mitgefühl überbrachte. Jeder in York wusste von der Treulosigkeit dieser Frau. Während er sich mit dem Handgelenk Wasser von der Nasenspitze wischte, sah er das Paar durchdringend an. "Ihr gestattet mir die Bemerkung", erwiderte er auf ihre Proteste hin, "dass diese Nachrichten für Euch nicht ganz unerwartet kommen dürften, hat doch mein Herr, der Sheriff, Euch schon im Sommer vorgewarnt: Wenn Ihr die Aufforderung des Königs, Ritterdienste zu leisten, weiterhin nicht beachtet, so hieß es, dann wird Euer Eigentum beschlagnahmt werden."
"Im Sommer", entgegnete die Frau mit dem Namen Ketti in stockendem, normannischem Französisch, "war ich gerade frisch verwitwet und in Trauer. Ich hatte anderes im Kopf." Sogleich wünschte sie sich, die fremde Sprache etwas besser zu beherrschen, da der Abgesandte des Sheriffs zur Seite blickte und den starken, jungen Mann an ihrer Seite betrachtete. Einen Moment lang ließ er seinen Blick auf der Wölbung unterhalb Warins Gürtels ruhen, als wolle er dessen Leistungen im Bett beurteilen.
"Ja", sagte er und wandte sich langsam wieder ihrem Gesicht zu, das vor Ärger ob seines unverschämten Verhaltens gerötet war. "Beinahe einen Monat lang müsst Ihr tatsächlich krank vor Kummer gewesen sein." Während er sich in der wohl ausgestatteten Wohnung umsah, musterten Ketti und der junge Mann, der einst ihr Schwiegersohn hatte werden wollen und nicht ihr Liebhaber, einander wie ein paar rivalisierende Hunde, und jeder dachte darüber nach, wie er den anderen
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