Die unwillige Braut (German Edition)
schwenkte und den Inhalt dann zu seinen Füßen ausgoss. Dann stellte er den Becher zurück, ehe Hilda zum Abräumen kam. In seinem weiten, schwarzen Ärmel verbarg er die Phiole mit dem Trank, die er später zurückgeben wollte.
In der Nacht war die Luft im Palast des Erzbischofs schwer vom muffigen Geruch nasser Kleider und dem Schweiß der Männer, vom Talg und dem beißenden Qualm der Kohlenpfannen. Lungenkrankheiten müssen hier wohl zu den verbreitetsten Leiden gehören, vermutete der Geistliche, während er die kleine Gruppe aus Toft Green an den Wachen vorbei zur Haupthalle führte. Es war ihm gelungen, Lady Rhoese zu überreden, sich reich zu kleiden, um den Normannen nicht durch ihre abweisende Haltung vor den Kopf zu stoßen. Für derartige Absichtserklärungen, sagte er ihr, wäre es nun zu spät. Jetzt müsste sie ihre Würde bewahren und ihnen den grenzenlosen Mut zeigen, für den die Engländerinnen berühmt waren.
Sie musste zugeben, dass die Kleider ihr halfen, ihre Gedanken auf das zu richten, was getan werden musste, statt auf das, was niemals sein würde, denn noch immer war sie Herrin über einen Haushalt, der auf ihre Anweisungen wartete. Also trug sie reichlich Gold auf ihrer Stirn, an ihrem Hals und den Handgelenken, an den Säumen der Gewänder aus feinster Wolle und Leinen. Creme und Blassgelb waren die Farben, die sie gewählt hatte, und an ihren Schuhen aus weichem Ziegenleder, die sie seit einem Jahr nicht mehr getragen hatte, klingelten leise Glöckchen bei jedem Schritt, so dass man sich nach ihr umdrehte und leise pfiff, während sie sich zum Erzbischof begab. In ihr Haar waren goldene Seidenbänder geflochten, und sie trug einen Schleier aus reiner Seide, die ihr Vater für viel Geld von einem Händler aus Byzanz gekauft hatte. Es war sein letztes Geschenk an sie gewesen.
Der Erzbischof erwartete sie bereits. "Meine liebe Lady", sagte er aus seinem steifen Kokon von glitzernden Juwelen und Seide heraus. "Seid willkommen." Nacheinander knieten sie nieder und küssten seinen großen Topasring. Bruder Alaric, Eric, Neal, Hilda und Els traten dann zur Seite, als er Rhoese einen letzten Rat gab, der viel zu spät kam, um ihrem verwirrten Verstand noch zu nützen. Es war ihr unmöglich, sich zu konzentrieren, sie verspürte nur eine leichte Übelkeit, als die Bedeutung seiner Worte in ihr Bewusstsein drang: dass sie pflichtbewusst und gehorsam sein sollte, wie es der Wunsch ihres Vaters gewesen wäre, für ihren Gemahl anständig bleiben und wegschauen sollte, was seine Untreue betraf, denn sicher wusste sie, dass er in dem Ruf stand, ein Frauenheld zu sein. Dabei musste sie eine vollkommen ausdruckslose Miene gezeigt haben, denn der Erzbischof wartete auf eine Reaktion von ihr, ehe er sagte: "Ihr versteht doch, was ich sage, Mylady?"
"Über seinen Ruf weiß ich nichts, Mylord. Ich weiß viel weniger über ihn als er über mich." Auf einmal fiel es ihr schwer zu atmen.
"Ah, dann will ich Euch nicht erschrecken. Natürlich werden solche Schwächen von der Kirche nicht gutgeheißen, aber ich fürchte, wir müssen akzeptieren, dass Vollblutmänner in ihren besten Jahren, und Soldaten insbesondere, einen großen Appetit haben. Sobald Ihr in Erwartung seid, Mylady, wird er ein anderes Ventil für seine Kraft brauchen, und Ihr werdet ertragen müssen, was immer auch geschieht."
"Jawohl, Mylord", flüsterte sie. Ertragen? Seine Untreue ertragen? In Gottes Namen! Nach allem, was ich opfern musste? Auch das noch? Gibt es denn auf dieser Erde keinen einzigen Mann, der treu sein kann? "Was ist mit Warin, Mylord? Habt Ihr gehört, wann sein Prozess sein wird?"
Der Erzbischof hielt eine Hand vor sein Gesicht und hüstelte diskret. "Ah ja. Der dumme Gehilfe Eures verstorbenen Vaters. Ja."
"Er wird doch wohl nicht hingerichtet werden, oder? Oder doch?"
Der Erzbischof senkte seine Stimme zu einem Flüstern. "Nein, meine Liebe. Der König hat die Strafe bereits vollstrecken lassen. Ihr müsst verstehen, es ging um Mord. An einem seiner Männer. Er war ausgesprochen verärgert, und er hatte jedes Recht, das zu sein."
"Mylord, bitte sagt es mir. Hat der König ihn für vogelfrei erklärt?" Neben dem Tod war die am meisten gefürchtete Strafe die, dass jemand für gesetzlos erklärt wurde.
"Nein, das nicht. Blendung und Kastration. Er ist wieder zu Hause bei seiner – äh, bei Eurer Stiefmutter. Deswegen ist sie nicht hier."
Wie es Rhoese gelang, den Rest des Weges zurückzulegen bis dorthin,
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