Die Unzertrennlichen
Sie hat auch unentgeltlich Orgel gespielt und notleidende Pfarrmitglieder finanziell unterstützt. Die Fleisch gewordene Barmherzigkeit, man kann es nicht anders ausdrücken. Und dann ertrinkt sie, von einem Tag auf den anderen!«
Emma sah mich an. Meine Großmutter bemerkte den Blick.
»Ja, so war es. In Italien. Ich sage es immer wieder, den Welschen ist nicht zu trauen. Nicht wahr, Ägyd?«
Mein Großvater schreckte erneut aus seinem Schlummer auf.
»Was hast du gesagt, Toni?«
»Dass den Welschen nicht zu trauen ist.«
»Was?«
»Den Italienern!«
»Ach, die Italiener.« Er formte mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand ein Loch, fuhr mit dem Zeigefinger der rechten schnell darin hin und her und lachte laut. »Die Italiener!«
»Hör auf, du ordinäres Mannsbild!«, rief meine Großmutter, die Hexe. »Mich bringt jedenfalls kein Mensch nach Italien, nicht einmal der Papst. Schließlich hat der Steirer in seiner Heimat alles, was er braucht.«
3
Der dritte Fehler war es, Stefans Einladung anzunehmen und ihm bei der Weinernte zu helfen.
Zwei Wochen später, zu Herbstbeginn, fuhr ich also wieder in den Sausal. Der Himmel war dunkelblau, die Landschaft wie in Gold getaucht. Diesmal war Emma nicht mitgekommen. Sie sah sich gezwungen, ihr Detektivbüro einen Monat lang allein zu führen, denn Mick Hammerl, ihr dicklicher, hypochondrischer Mitarbeiter, hatte vor kurzem geheiratet und befand sich mit Asli, seiner türkischen Frau, auf Hochzeitsreise in Anatolien.
»Er sollte längst zurück sein«, sagte Emma verärgert, »aber er hat beschlossen, an einem Workshop der tanzenden Derwische in Konya teilzunehmen.«
Mick war Anhänger des Mevlevi-Ordens und versuchte sein stilles Zentrum zu finden, indem er sich einen hohen Zylinder aus braunem Filz aufsetzte, einen langen weißen Glockenrock und eine weiße Bolerojacke anzog und sich stundenlang im Kreis drehte.
Ich fuhr langsam an ausgedehnten, hie und da schon abgeernteten Sonnenblumenkulturen vorüber. Zum Teil standen die Pflanzen noch vertrocknet auf den Feldern und wurden von riesigen Maschinen mit vorgesetzten, gefährlich aussehenden Schneidewerken geschnitten. Auch die Kürbisernte hatte schon begonnen. Wo maschinell geerntet wurde, lagen die Früchte in langen, geraden Reihen, durch welche bunte Erntemaschinen fuhren, die die gelbgrünen Kugeln auf große Räder spießten. Auf einem kleinen Acker saßen drei dicke Frauen mit im Nacken verknoteten Kopftüchern auf alten Stühlen neben einer Vogelscheuche, einen Berg halbierter Kürbisse und rote Plastikeimer vor sich, und entfernten die Kerne mit den Händen aus dem Fruchtfleisch.
Ich fuhr durch das Dorf und stellte meinen alten, flaschengrünen Polo an der Stelle, wo der Weg zur Mühle abzweigt, am Straßenrand ab. Unter einem Birnbaum in der Wiese stand ein Mann in einer blauen Arbeitsbluse mit einem kleinen Strohhut auf dem Kopf und schärfte mit einem Wetzstein ein Sensenblatt. Er tat, als sehe er mich nicht. Ich betrat den Waldweg und ging an den Holunder- und Haselsträuchern, den Ebereschen vorüber ins kühle Halbdunkel hinein. Den Großeltern würde ich erst später meine Aufwartung machen. Meine Großmutter konnte anstrengend sein.
Vor dem Eingang zur Mühle zog ich den großen eisernen Schlüssel aus meiner Tasche. Erst als ich im Begriff war, das Tor aufzusperren, fiel mein Blick auf den Hackstock. Ein riesengroßer orangefarbener Kürbis stand darauf. Ein Kopf. Ein Gesicht. Ausgeschnittene Schlitze waren die Augen, ein Dreieck die Nase. Der Mund war breit, auf der Unterseite deuteten scharf ausgesägte Zacken die Zähne an. Licht drang aus den Öffnungen. Die Axt, die im Hackstock gesteckt hatte, fehlte. Ich trat näher. Der flackernde Schein vermittelte der Fratze etwas Lebendiges, ihre Züge wirkten aufgrund der Schlitzaugen und der Haifischzähne zugleich aggressiv und verschlagen. Ich hob den Kürbis hoch. Darunter stand eine Kerze, ein Grablicht in einer roten Plastikumhüllung. Man konnte sehen, dass sie noch nicht lange brannte. Ich schaute mich um. Nichts rührte sich, niemand war zu sehen. Ich blies die Flamme aus.
Auf der Fahrt zu Stefans Haus kam ich wieder an dem nun verwaisten exotischen Bauwerk vorüber, in dem ich aufgewachsen war. Als ich sah, dass sich jemand im Schwimmbecken zu schaffen machte, hielt ich an, stieg aus und ging durch das hohe dürre Gras hin zum Bassin. Darin stand ein Mann mit einem kleinen Oberlippenbart, einem schmierigen dunkelgrünen Lodenhut
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