Die Unzertrennlichen
Liegewagenabteil für zwei Frauen, recht geräumig, und hoffte, ein gnädiges Schicksal würde mir keine oder wenigstens eine angenehme, wenig mitteilsame Reisegefährtin bescheren. Das obere Bett war noch nicht ausgeklappt, und ich setzte mich auf das untere, ans Fenster. Eine große Frau mit fuchsrot gefärbten, toupierten Haaren um die fünfzig schob die Abteiltür mit Wucht zur Seite. Sie trug einen voluminösen Mantel aus Kunstpelz mit Leopardenfellmuster und war ganz außer Atem.
»Ein schrecklicher Bahnhof, der Südbahnhof!«, stöhnte sie und schob, stieß und zerrte einen Koffer nach dem anderen ins Abteil. Nun wirkte es schon weniger geräumig. »Finden Sie nicht? Der Westbahnhof ist nicht viel besser, das einzig Ästhetische daran ist die Statue der Kaiserin Sisi in der Halle. Und erst der Franz-Josephs-Bahnhof! Grauenhaft. Von Wien Mitte ganz zu schweigen. Man bekommt es mit der Angst zu tun, wenn man abends wegfährt. Sie nicht? Als Frau allein, meine ich. Und ich bin nicht furchtsam von Natur. Das Gesindel, das sich hier herumtreibt! Finden Sie nicht auch?«
Sie legte den Pelzmantel ab und hängte ihn an einen Haken. Darunter trug sie weiße Jeans, die einen Hintern von beachtlichen Ausmaßen und kolossale Oberschenkel einquetschten, so gut sie es vermochten, und ein enges, langärmeliges T-Shirt mit einem schwindelerregenden Muster in Pink, Blitzblau und Gelbgrün, unter dem ein Fettwulst den anderen überlappte. Dann stellte sie sich vor mich hin und stützte die Arme in die Hüften. Ihr über dem breiten goldfarbenen Gürtel mit strassbesetzter Schnalle gefährlich weit vorspringender Bauch war wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Sie roch intensiv nach Haarspray. Solche Pflanzen wuchsen und gediehen nur in Wien, die Stadt war das ideale Habitat für diesen Typus. Ich drückte mich in die Ecke neben dem Fenster.
»Finden Sie nicht auch?«, wiederholte sie drohend und neigte sich noch näher zu mir.
Ich wich zurück, so weit ich konnte: »Ach, ich weiß nicht, ich –«
»Sie finden es auch, ich dachte es mir.« Mein Ansatz einer Antwort hatte sie offenbar zufriedengestellt, denn sie richtete sich wieder auf und zog die Lippen auseinander, sodass eine Reihe solider falscher Zähne sichtbar wurde. Dann ließ sie sich neben mich auf das Bett fallen, schlug die Beine in den hochhackigen, beigefarbenen Stiefeln übereinander, deren Schaft mit mehreren Reihen fröhlich wippender Lederfransen geschmückt war, und nahm ein Päckchen Parisienne und ein Plastikfeuerzeug aus ihrer gleichfalls goldfarbenen Handtasche.
»Das ist ein Nichtraucherabteil«, sagte ich.
Sie ignorierte diese Bemerkung, zündete sich eine Zigarette an und machte einen langen, genussvollen Zug. »Endlich weg von Wien!«, sagte sie dann. »Eine furchtbare Stadt. Ordinäre Leute.« Sie blickte neckisch und näherte ihren Mund meinem rechten Ohr. Die Duftmelange aus billigem Haarspray und Nikotin war überwältigend, und ich hielt den Atem an. »Ich fahre zu meinem Freund«, flüsterte sie. »Wollen Sie seinen Namen wissen?«
»Ehrlich gesagt –«
»Ercole. Herkules! Dabei ist er nur einen Meter einundsechzig groß und achtundfünfzig Kilo schwer!« Sie lachte laut. »Und was glauben Sie, wie er mit Familiennamen heißt?«
»Keine –«
»Caruso!« Sie lachte noch lauter, die soliden falschen Zähne blinkten. »Es stimmt, Ehrenwort. Natürlich ist er jünger als ich, für ältere Männer habe ich nie viel übriggehabt. Er hat ein Schuhgeschäft in Neapel, ich decke meinen Bedarf bei ihm. An Schuhen und – na ja, Sie wissen schon.« Sie stieß mich mit dem Ellbogen in die Seite und zwinkerte. »Ich sage Ihnen, der Mann ist ein Vulkan! Bricht aus wie der Vesuv anno vierundvierzig. Jedes Mal. Verlässlich.« Sie kicherte wie ein Schulmädchen. »Sie werden begreifen, dass ich nach Neapel fahre, sooft ich kann. Ein jüngerer Mann ist ein Geschenk des Himmels. Finden Sie nicht auch? Ercole ist ausgesprochen unglücklich verheiratet. Seine Frau arbeitet auch im Schuhgeschäft. Medea.« Ein Wiehern. »Ehrlich, so heißt sie. Man glaubt es nicht. Hässlich wie die Nacht.« Die dralle Wienerin streckte ein Bein aus. »Ich habe diese Stiefel im Geschäft anprobiert, und sie ist vor mir gekniet, hat sie mir übergestreift und nicht den blassesten Schimmer gehabt, dass ich mit ihrem Mann seit zwei Jahren –« Wieder zwinkerte sie. »Sie verstehen schon.«
»Also, ich möchte –«
Die Dame war nicht zu bremsen.
»Na ja, zum
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