Die Unzertrennlichen
habe, daß ich kein Kind will – und von ihm schon gar nicht. Ich hätte ihm die Schwangerschaft verschweigen können. Aber die Aussicht darauf, ihn in Hochstimmung zu versetzen und seinen dummen, unberechtigten Optimismus gleich darauf wieder zu zerstören, war zu verlockend. Man fühlt sich ziemlich stark, wenn man die seelische Verfassung eines anderen beeinflussen, sie nach Gutdünken steuern kann. Ein angenehmes Gefühl. Ich habe schon früh Geschmack daran gefunden. Stefan hat es sich selbst zuzuschreiben, er fordert mich heraus. Sich vorzustellen, daß er sich von diesem Kind eine Verbesserung unserer Beziehung versprochen hat! Der naive Trottel hört nicht auf zu hoffen. Als ob unsere Ehe noch zu retten wäre. Ich habe ihn belogen, ihm erzählt, daß es Zwillingsembryos waren, da ich wußte, das würde ihn noch mehr verstören. Es war nur ein Kind. Aber seine verbissene Zuversicht, dieses unnachgiebige Festhalten an unserer Verbindung, die längst ruiniert ist, macht mich so wütend! Er verdient es, verletzt zu werden, er legt es darauf an. Sein zähes Anklammern nimmt einem den Atem, er lechzt danach, daß man ihm weh tut. Es macht einem sogar Spaß.
Jedenfalls erleichtert es mich ungemein, daß ich mir das Kind vom Hals geschafft habe. Ich bin überzeugt, es wäre ein Mädchen geworden. Diese kleine Frau, diese Rivalin hätte alles zunichte gemacht, meine Karriere, meine Freiheit, meine Attraktivität – alles, an dem mir etwas liegt. Ich fuhr in die Innenstadt, in die Klinik auf dem Fleischmarkt. Ein Segen, daß es sie gibt. Die Schwestern und Ärztinnen dort sind mir bekannt, schließlich war es nicht das erste Mal, dass ich ihre freundlichen Dienste in Anspruch nahm. Zwei ebenso hausbacken wie verbissen wirkende Abtreibungsgegnerinnen und ein fanatischer männlicher Mitstreiter mit flackerndem Blick standen mit ihren Plakaten vor dem Eingangstor und versuchten mich von meinem Entschluß abzubringen. Ärgerlich. Wie ich diese scheinheiligen katholischen Mütter mit ihrem vernünftigen Schuhwerk und ihren monströsen, mit Alarmanlage, Bordcomputer, Klimatisierungsautomatik, elektrisch verstellbarem und beheizbarem Außenspiegel, getönten Scheiben, Zentralverriegelung, Nebelscheinwerfern und Navigationsgerät ausgestatteten Kinderwagen verabscheue, mit denen sie einen auf dem Gehsteig zu rammen versuchen! Man erkennt sie von weitem. Umgekehrt ist das offenbar ebenso, die selbstgerechten Missionarinnen haben einen Blick für Frauen, deren Gebärfreudigkeit weniger ausgeprägt ist als die ihre. Es war jedenfalls nicht schwierig, sie mir vom Leib zu halten. Die Intervention war eine Bagatelle, man schläft ein, spürt nichts, ruht sich ein paar Stunden aus und verläßt die Klinik froh und befreit.
Stefan hat mir aufgelauert, wie üblich, wenn er nicht weiß, wo ich gewesen bin. Und wie üblich war er betrunken. In diesem Zustand ist er nicht zu ertragen. Er hat sofort mit seinem Verhör begonnen – wo warst du? Mit wem? Wo warst du? Mit wem? Ich bin in mein Zimmer gegangen, ohne etwas zu sagen, und habe abgeschlossen. Er hat an die Tür gehämmert wie ein Verrückter, ich hatte Angst, er könnte die Axt aus dem Keller holen und versuchen, die Füllung einzuschlagen, so wie schon einmal. Allmählich wurde er ruhiger, aber ich mußte mir noch eine Weile sein Lallen und Schluchzen anhören. Welche Frau kann einen Mann achten, der sich so vor ihr erniedrigt? Schließlich wurde es still, und ich konnte endlich einschlafen. Ich war todmüde. Als ich am nächsten Tag aus dem Zimmer ging, lag er schlafend davor, eingerollt, die Hände unter das Kinn geschoben, wie ein Hund. Ich mußte lachen, unwillkürlich.«
Die Stelle stammte aus dem Jahr 1998. Damals hatten die beiden das Winzerhaus noch nicht erworben gehabt, sie wohnten in der Hauptstadt, in der Nähe des Türkenschanzparks, hatten das erste Stockwerk einer gepflegten Villenetage im achtzehnten Bezirk gemietet, dieser grünen Hölle Wiens, im Cottageviertel, dort, wo ich sie ein Jahr zuvor an dem Wochenende besucht hatte, das Regina in ihrem Journal beschrieb.
»Wir sind umgezogen, wir wohnen jetzt im Koteesch-Viertel«, hatte Regina mir am Telefon etwas herablassend erzählt. Koteesch , hatte sie gesagt, so wie das Wiener Bürgertum das Wort auszusprechen pflegt. Im Erdgeschoß der Villa wohnte der Besitzer, ein ungehobelter Tierarzt im Ruhestand, der Wert darauf legte, als Herr Oberveterinärrat angesprochen zu werden, mit seiner hochnäsigen Frau,
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