Die Unzertrennlichen
ein Damoklesschwert, ein funkelnder Kronleuchter. Wenigstens blinkte er nicht. Der ehemalige Assistent trank den dritten kleinen Braunen, verschlang in Windeseile sein zweites Stück Apfeltorte und versuchte, durch beständiges Fuchteln seines linken Arms die Aufmerksamkeit der Kellnerin zu erregen, um ein weiteres zu bestellen. Das wunderte mich, denn er war viel dünner, als ich ihn in Erinnerung hatte, nahezu ausgemergelt. Offensichtlich ein guter Futterverwerter. Seine Gesichtszüge hatten Ähnlichkeit mit einem Totenkopf, die Augen lagen in tiefen Höhlen, die Wangen waren eingefallen, die Nase war klein und spitz, und er hatte fast alle Haare verloren. Vielleicht hatten die vielen Skelette, mit denen wir uns beruflich befassten, bereits auf sein Äußeres Einfluss genommen, was wusste man? Er strahlte mich weiter an, die kleinen Lücken zwischen seinen Zähnen waren mit gelblicher Tortenmasse ausgefüllt. Ich war rückblickend sehr froh, dass wir damals in Wien kein Verhältnis miteinander angefangen hatten.
»Du dich auch nicht«, log ich. »Kein bisschen.«
Er fuhr fort zu strahlen.
»Bist du verheiratet?«, fragte er dann.
»Nein.«
Das Strahlen nahm kein Ende. Der personifizierte Weihnachtsschmuck.
»Ich auch nicht«, gestand er und überlegte kurz. »Dann bist du ja noch zu haben!«, rief er freudig. Er beugte sich über den Tisch, näher zu mir. Zu nahe. »Ganz im Vertrauen, Sissi, du bist die einzige Frau, die ich je heiraten wollte. Bis heute. Die einzige, Ehrenwort.«
Die Kellnerin trat an unseren Tisch. Sie war jung und hübsch, hatte die Hände auf ihrer kleinen weißen Servierschürze übereinandergelegt und lächelte nonchalant.
»Haben der Herr Dozent noch einen Wunsch?«
»Ein Stück Apfeltorte, bitte.«
Das Mädchen blickte verblüfft.
»Noch eines?«, fragte sie.
Der Herr Dozent fuchtelte von neuem herum, offensichtlich mit dem Ziel, die Serviererin zu verscheuchen.
»So gehen Sie schon, gehen Sie schon!«, sagte er gereizt und strahlte nicht mehr. »Und noch einen kleinen Braunen!«
Ich blickte auf meine Armbanduhr. Es war höchste Zeit, das Thema anzuschneiden, das meiner Großmutter am Herzen lag und auch mich interessierte. Fritz Hasiba ging sofort darauf ein, lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte die Finger und begann zu dozieren. Unwillkürlich kam mir der Polizist Fausto Sacco von der Insel Procida in den Sinn. Dieser Mann hier war fast zum Gerippe abgemagert, der andere feist wie ein Mastschwein. Dennoch – in ihrer Selbstzufriedenheit glichen sie einander aufs Haar.
»Du weißt, dass ich nicht befugt bin, dir Informationen weiterzugeben. Aber ich kann dein Interesse an diesem ungeklärten Todesfall in deinem Heimatort natürlich begreifen.« Er lächelte mich verständnisvoll an. Die Tortenmasse saß noch immer zwischen seinen Zähnen. Steirische Apfeltorte. Vermutlich aufgeweichte Biskotten. »Man weiß nie, vielleicht kannst du sogar zu seiner Lösung beitragen! In Anbetracht unserer alten Bekanntschaft und der Tatsache, dass du vom Fach bist, halte ich es jedenfalls für gerechtfertigt, dir die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung mitzuteilen. Auf die Feinheiten werde ich nicht eingehen, du kennst dich ja aus.« Er atmete hörbar ein. Wie der italienische Sovrintendente hörte er sich gern reden. »Es handelt sich um ein Tötungsdelikt, Sissi, daran besteht kein Zweifel. Der Tod trat durch Schädelbruch infolge von stumpfer Gewalt ein. Die Leiche wurde mithilfe von Eisenketten mit einem dreißig Kilogramm schweren Betonständer für Sonnenschirme beschwert und im Weiher versenkt.«
Also doch Mord. Meine Großmutter würde sich freuen. Nicht nur sie, das ganze Dorf. Womöglich war es tatsächlich die vermisste Frau Baumgartner? Dann stand es nicht gut für Florian. Ich hatte mich in Regina und in Stefan getäuscht, vielleicht täuschte ich mich ja auch in ihm? Nichts mehr war sicher.
Die junge Serviererin kam mit der bestellten Apfeltorte und setzte den Teller mit schwungvoller Geste vor Fritz ab. Sie grinste ungeniert.
»Hier bitte, der Herr, der kleine Braune und das dritte Tortenstück. Mahlzeit!« Sie begann zu kichern, hielt sich die Hand vor den Mund und entfernte sich eilends. Der Herr Dozent ignorierte dieses respektlose Benehmen, trank einen Schluck Kaffee und sprach weiter.
»Es wird noch etwas dauern, bis aus der weitgehend skelettierten Leiche DNA aus Knochenmarksgewebe isoliert und mit Glück ein Profil erstellt werden kann. Damit
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