Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
schnell kamen die anderen Schritte auf die beiden Mädchen zu.
Jemand rannte.
Keuchte.
Jetzt hörten sie es deutlich.
Emily musste mit einem Mal an Kensingtons Werwölfe denken.
Dann spürte sie lodernde Hitze, die ihr mit fauchenden Flammenzungen ins Gesicht schlug und sie taumeln ließ. Sie hörte Aurora laut aufschreien, weil das wütende Kreischen, das den gesamten Tunnel erfüllte, von den tobsüchtigen Rattlingen herrührte, die zum Angriff übergegangen waren. Eine kräftige Hand packte Emily an der Schulter, und sie wurde in der Dunkelheit herumgewirbelt, fiel unsanft zu Boden und stieß sich den Kopf an einer gekachelten Tunnelwand. Aurora schrie abermals und lag auf einmal neben ihr, rappelte sich auf und half auch Emily, wieder auf die Beine zu kommen.
Feuer loderte im Tunnel.
Brennend heiß.
Die mittlerweile panischen Schreie der Rattlinge hallten von den gekachelten Wänden wider, und der Gestank versengten Fleisches erfüllte den Tunnel. Ganz schlecht wurde den Mädchen davon.
»Habt keine Angst«, sprach jemand zu Emily.
Sie kannte diese Stimme.
Von irgendwoher.
»Der Alchemist schickt mich.« Kräftige Hände packten das Mädchen und stellten es auf die Füße. Emily hörte, wie sich der Mann ihrer Freundin vorstellte. »Euch kennen zu lernen hatte ich noch nicht das Vergnügen«, richtete er seine Worte an Aurora. »Miss Fitzrovia müsst Ihr sein. Eure Freundin ist mir bereits vorgestellt worden. In Hidden Holborn.« Und mit einem Mal begann die Stimme Gestalt anzunehmen. Wurde zu einem hageren Mann, gekleidet in Purpurrot. Eine lange Feder hatte aus dem breitkrempigen Hut geragt. Damals, im Wohnheim von Hidden Holborn. »Nennt mich Mièville«, stellte sich der Tunnelstreicher abermals vor, »und folgt mir schnellen Fußes nach King’s Moan.« Noch bevor die Mädchen etwas erwidern konnten, begründete er seine Eile mit den Worten: »Die Schergen des Nyx haben mit ihrem Angriff begonnen. Die uralte Metropole erzittert in ihren Grundfesten, und Wittgenstein ist hoffentlich auf dem Weg hierher.«
Während Maurice Micklewhite und Miss Monflathers zum Tower von London eilten, um Lycidas in die Hölle zu folgen, oblag es mir, mich nach Manderley Manor zu begeben und Mylady von den Neuigkeiten der Stunde in Kenntnis zu setzen. Die Trafalgar-Tauben verbreiteten derweil die Kunde von Kampfhandlungen aus allen Teilen Londons.
Es hatte also begonnen.
Ich konnte nur hoffen, dass Emily den Hinweis auf die alte Taverne in Chelsea verstanden und sich sofort auf den Weg dorthin begeben hatte. Ich selbst unternahm einen kurzen Abstecher nach Manderley Manor, wo man mir mitteilte, dass Mylady derzeit nicht zu sprechen sei, mir aber versichert wurde, dass das Haus seine Legionen in Kampfbereitschaft versetzt habe.
Nun denn.
Der Hausdiener wirkte nicht gerade freundlich, wenngleich er Miss Anderson rufen ließ, die mich zu sprechen wünschte. Ich folgte dem Hausdiener also in einen kleinen Salon im Erdgeschoss des Anwesens, wo die Hausdame mich bereits erwartete.
Ohne Umschweife kam sie zur Sache. »Ich habe Euch etwas mitzuteilen«, begann sie, »unter dem Mantel absoluter Verschwiegenheit, versteht sich. Es geht um die Zukunft des Kindes.« Sie hatte mich in den kleinen Salon gebeten, um allein mit mir zu sein und das Treffen vor ihrer Hausherrin geheim zu halten, und in Anbetracht dessen, was sie mir erzählte, war Mylady Manderley wohl wirklich indisponiert. Denn das, was mir Miss Anderson offenbarte, war mit Sicherheit nicht für meine Ohren bestimmt. »Es geht um das Wohl des Kindes. Um Mara«, stellte sie klar. »Und, wenn Ihr so wollt, auch um das Wohl ihrer Schwester.« Das gestrenge Gesicht war maskenhaft. »Mylady Manderley«, flüsterte Miss Anderson, »ist nicht mehr bei Sinnen.« Dann begann sie zu erzählen.
Und ich lauschte.
Nickte.
War sprachlos.
»Ihr sorgt Euch um das Kind«, schloss sie ihren Monolog, den ich nur hin und wieder durch Fragen unterbrochen hatte. »Zieht nicht so ein Gesicht. Wir haben vorher niemals miteinander gesprochen, doch sagt mir Euer Verhalten, was ich wissen muss. Ihr, Master Wittgenstein, sorgt Euch um Emily Manderley.«
Vermutlich war ich es dem Mädchen schuldig, die Hausdame zu verbessern.
»Emily Laing«, sagte ich.
»Emily Manderley«, beharrte Miss Anderson. »Ihr sorgt Euch um das Kind. Und dies zu Recht, wie ich Euch gerade erklärt habe.« Sie seufzte tief und wirkte mit einem Mal alt und unglücklich. »Benutzt das Wissen, das ich in Eure
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