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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Kinder. Jene, die Eltern hatten und Großeltern und ein Zuhause mit Kamin und Spielzimmer und Geschenken unter dem Weihnachtsbaum. Emily hatte nur Aurora und ihren Stoffbären. Und Aurora hatte nur Emily. Immerhin war das mehr, als die meisten der Kinder in Rotherhithe besaßen. Es war das, was in diesen seltsamen Jahren zählte.
    Sie hatten einander.
    Emily schluckte erneut Wasser und hustete.
    Dies hier durfte einfach nicht das Ende sein.
    Dann sah sie das Licht.
    Es glomm irgendwo hinter ihr. Ein unscheinbarer Punkt in der rabenschwarzen Nacht.
    Und es
bewegte
sich. Sogar ziemlich flink.
    Dinsdale, schoss es ihr durch den Kopf.
    »Dinsdale!«, rief sie mit heiserer Stimme.
    Das Irrlicht wechselte augenblicklich den Kurs und kam in Windeseile zu ihr geeilt.
    Als das Irrlicht sie erreichte, wurden die Umrisse der Höhle, in der sich Emily befand, endlich klarer. Der Fluss hatte ähnliche Ausmaße wie die Themse. Die Höhlendecke, bestehend aus schwarzem, zackigem Gestein, verlief etwa vierzig Fußüber der Wasseroberfläche. Wulstige Stalaktiten reckten sich vereinzelt nach unten dem Wasser entgegen.
    Offenbar schien Dinsdale erfreut ob der Tatsache, das Mädchen endlich gefunden zu haben. Er rief ihr etwas zu, das Emily jedoch nicht verstand, was einerseits an den tosenden Fluten, andererseits aber auch an dem Manchesterdialekt des Irrlichts liegen mochte. Dummerweise scheuen Irrlichter ihrer Natur folgend das Wasser, und so war Dinsdale in der momentanen Lage keine große Hilfe für das Mädchen; sah man einmal davon ab, dass Emily nun endlich wusste, wo sie sich befand und wie ihre Umgebung aussah. Da sie nun ebenfalls wusste, wo das Ufer war, versuchte sie, darauf zuzuschwimmen, was sich in der rasenden Strömung jedoch als schier aussichtsloses Unterfangen erwies. Zudem gab es nur vereinzelt kleine Vorsprünge und Spalten in dem Felsgestein, das ansonsten vom Wasser zu glatt gespült und glitschig war, um sich daran festzuhalten, geschweige denn, um daran aus dem Wasser klettern zu können.
    Doch dann gewahrte Emily in der Ferne eine weitere Lichtquelle.
    Flussabwärts.
    Konnte es sein, dass dort Fackeln standen?
    Sie hoffte, dass auch Dinsdale das Feuer bemerkt hatte. Da er sich Augenblicke später dimmte, ging Emily davon aus, dass dem so war. Die Neugierde und die Hoffnung auf eine baldige Rettung verliehen ihr für kurze Zeit neue Kraft, doch zerstreuten sich die hoffnungsvollen Gedanken bald wieder. Wusste sie doch nicht einmal, ob ihre Gefährten noch am Leben waren. Wer immer sich dort flussabwärts aufhielt, konnte gleichermaßen Freund oder Feind sein.
    Es dauerte keine Viertelstunde, bis sie schließlich jenen erleuchteten Flecken Strand erreichte.
    Der Fluss war ruhiger geworden.
    Langsam und sanft glitt Emily nun in der Strömung dahin. Es war jetzt einfacher, sich sachte treiben zu lassen. Dinsdale, bemerkte sie, leuchtete nun gar nicht mehr und flog dicht an der Höhlendecke entlang, jeden stalaktitischen Vorsprung und jede Kerbe im Gestein als kurzweilige Deckung nutzend. Es gelang Emily, langsam, doch stetig in Richtung des rechtsseitigen Ufers zu driften, obschon sie mit ihren verfrorenen Gliedmaßen kaum mehr zu paddeln vermochte.
    Dann erblickte sie es.
    Etwas, das ihr aufgeregt das Herz höher schlagen ließ.
    Ein flacher steiniger Strand, der sich etwa zwei Meilen entlang des Flusses erstrecken mochte. Auf dem schmutzigen Sand an der Wasserlinie lag ein Körper, der sich leicht im Takt der über ihn hinwegschwappenden Brandung bewegte. Hoffnung kam in ihr auf. Konnte es sein, dass das Schicksal es doch noch gut mit ihr meinte? Und mit ihrer Freundin? Sie begann nun nach vorne zu schwimmen und hätte am liebsten vor Freude laut aufgeschrien, als sie ihre Vermutung bestätigt sah.
    Ja, sie war es.
    Aurora Fitzrovia!
    Ohne jeden Zweifel.
    Der Fluss hatte ihre Freundin freigegeben. Emily konnte erkennen, wie sich ihr Arm langsam und träge bewegte. Sie lebte! Mein Gott, sie war nicht ertrunken. Sie würden den Rest dieses Abenteuers gemeinsam bestehen können. Überschwänglich vor Freude wollte Emily gerade ihre Hand aus dem Wasser erheben und nach ihrer Freundin rufen, als ihr ein furchtbarer Gedanke kam.
    Woher kam das Licht?
    Natürlich von den Fackeln!
    Doch wer hatte die Fackeln dort aufgestellt?
    Sekundenbruchteile später bemerkte sie die beiden Gestalten, die an der Felsenwand im Schatten kauerten und angestrengt den Fluss beobachteten. Sie trugen Kapuzenumhänge und hielten Armbrüste

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