Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Fahrt.
Dort angekommen, führte Eliza sie in tiefer gelegene Tunnel, wo Glühwürmchen zu tausenden die Luft erfüllten und die unterirdische Dunkelheit mit einem natürlich sanften Glanz vertrieben.
»An vielen Stellen findet man noch Glühwürmchen«, erklärte Adam.
Emily musste lächeln. »La Cité lumière?«
»Ja.«
Eliza beobachtete die beiden.
Ganz melancholisch.
Sah womöglich, was auch Lady Mina nicht verborgen geblieben war.
Dinsdale war aus Emilys Tasche entschlüpft und flog beschwingte Kapriolen mit den Glühwürmchen, denen die Gesellschaft eines Irrlichts nichts auszumachen schien.
»Was wirst du tun, wenn dies alles vorüber ist?« Adam blickte nach vorn in den Tunnel hinein, so unbeteiligt, als wäre dies mitnichten eine Frage, bei der er Emily besser hätte anschauen sollen.
»Ich gehe zurück nach London.«
Er nickte.
»Und du?«
»Vermutlich auch.«
Die beiden sahen einander an.
Folgten Eliza Holland.
»Du bist sehr schweigsam«, stellte Adam nach einer Weile fest.
Emily lächelte. »Du nicht!«
Dann erreichten sie die Île de la Cité.
Eine gigantische Kaverne war es, tief unter der Kathedrale Notre Dame gelegen. Die Wände der Höhle bestanden aus mattem Spiegelglas, sodass alles, was im Inneren geschah, hundertfach vervielfältigt wurde.
»Es sieht aus wie Moorgate«, entfuhr es Emily.
Sie sah eine Brücke, die einmal die uralte Pont Notre Dame gewesen war, und auf dieser Brücke befanden sich Häuser, wie auch auf der London Bridge.
Das Haus, das sich bedrohlich und riesig in der Mitte der Brücke erhob, sah aus wie Moorgate Asylum. Ein Haus der Erker und Winkel war es, der vergitterten Fenster und spitzer Türme, dessen hohe Mauern von wucherndem Stacheldraht gekrönt wurden. Wasser tropfte von der Höhlendecke herab, und schäbiges Moos bedeckte die Dächer des Hauses wie Zahnbelag.
Der Mund des Wahnsinns.
So nannten die Bewohner das Gegenstück zu diesem Ort in London.
»La bouche de la folie.«
Anders als in Moorgate erblühten hier jedoch tausende von Blumen im Licht der Fackeln, die überall in den Wänden steckten und deren Licht tausendfach von den Spiegeln gebrochen wurde.
»Wir nennen diesen Ort den Marché aux Fleurs«, sagte Eliza.
Vornehmlich waren es Rosen, die hier unten wuchsen. Die ihre dornigen Zweige und dicken Äste an den Brückenpfeilern emporranken ließen. Rosen in allen nur erdenklichen Farben.
Ein altes Zollhaus mit einer steinernen Skulptur bildete auch hier den Eingang und erklärte, weshalb die Bewohner des Marché aux Fleurs diesem Ort den Namen gegeben hatten, den er nun einmal trug.
Ein steinernes Gesicht blickte auf die Neuankömmlinge herab. Gemeißelt in hellen Kalkstein, war es heller als sein Gegenstück in London, bildete aber wie dort die Front des ehemaligen Zollhauses.
Mit Augen, die wie irre verdreht waren.
Einem Mund, aus dem eine fette Zunge hing, die mit Schnecken übersät war.
Falten, die das Antlitz in eine hässliche Fratze verwandelten.
Haaren, die zerzaust vom Kopf abstanden und deren Ausläufer bis in die roten Ziegel des Dachs reichten.
Einem Dach, auf dem Gargylen hockten und neugierig auf die kleine Gruppe Wanderer herabblickten.
»Ihr habt einen Termin?« Ein Lazarus-Mensch saß in der Bretterbude neben dem Tor. Die Holzmaske, die sein Gesicht bedeckte, wirkte ausdruckslos.
»Wir kennen den Weg«, sagte Eliza streng, hob den Blick, um die Gargylen zu grüßen, und ging dann eiligen Schrittes durch das Tor.
Wie in London, so öffnete sich auch hier ein Schlund aus Häusern und Pfaden in der Dämmerung.
Ein einfaches Schild hing dort.
»Laboratoire d’Alphonse Moreau«
stand darauf geschrieben.
Und als sie durch den Mund des Wahnsinns von Paris schritten, da offenbarte sich ihnen eine skurrile Welt, die ganz anders war, als Emily erwartet hatte.
Menschliche Tiere und tierische Menschen bevölkerten die Korridore und Treppenhäuser dieser Anstalt. Es war, als würden hier in diesen Mauern die Grenzen, die sich die Natur gesetzt hatte, zerfließen, um etwas Neues zu erschaffen. Emily sah in Gesichter, die stärkere Ähnlichkeit mit Fröschen, Eidechsen, Löwen, Hyänen oder Ziegen hatten als mit Menschen. Daneben gab es Tiere, die entsprechend der Gewohnheit ihrer Art auf allen vieren liefen, deren Gesichter jedoch unverkennbar menschliche Züge trugen.
»Was sind das für Wesen?«, fragte Adam.
Eliza seufzte. »Es sind die Versuche, die Natur der Natur zu entschlüsseln.« Sie sah den Jungen
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