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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Wesens gewiss zu sein. Die Seele würde sonst erkranken.« Die sonst so feste Stimme wirkte brüchig, und erstmals wurde mir das Alter meiner Mentorin bewusst. »Das verstehen Sie doch, Eliza?«
    Ungern gab ich es zu. Doch, ja, ich verstand.
    Es war die traurige Konsequenz unseres Daseins.
    »Haben Sie einen Gefährten?«
    »Ja, mein Kind.« Ihr Lächeln strahlte durch die Maske, die ihr Gesicht sonst war, hindurch. »Mein Gefährte weilt in London, und dorthin werde auch ich bald zurückkehren. In die Stadt der Schornsteine am dunklen Fluss.« Eindringlich sah sie mich an. »Wenn meine Aufgabe hier getan ist.« Dann schwieg Miss White lange Zeit.
    Nach dem Neujahrsfest 1922 verließ Miss White uns, nachdem es in Karnak Gerüchte gegeben hatte, dass in einer Oase nahe Abydos alle Kinder in einer einzigen Nacht spurlos verschwunden seien. Und wenngleich Miss White bestritt, etwas mit diesem Vorfall zu tun zu haben, so konnte sie die Tatsache, den Ort des Geschehens in Begleitung Reverend Dombeys aufgesucht zu haben, nicht leugnen.
    Wie auch immer – Miss White verließ Karnak und kehrte mit ihren Begleitern in die Hauptstadt des Empire zurück, die sie so merkwürdig als die Stadt der Schornsteine und manchmal auch als die uralte Metropole bezeichnet hatte.
    Als sich der Sommer des Jahres 1922 dem Ende zuneigte, betrat auch ich endlich wieder den Boden meines Heimatlandes. In Begleitung Howard Carters hielten wir uns eine Woche lang in Highclere, dem Schloss Lord Carnarvons, auf. Zu unser aller Bedauern stellte unser Gönner das Scheitern des Unternehmens fest. In den letzten beiden Jahren hatten wir außer einigen Ostraka (nur mäßig wertvollen Tonscherben) keine neuen Entdeckungen gemacht. Carnarvon glaubte, dass das Tal bereits in allen Richtungen durchgraben worden sei, sodass die Wahrscheinlichkeit, inmitten dieser Baustelle ein weiteres Grab zu finden (und ein unversehrtes noch dazu), verschwindend gering sei. Zudem, so Carnarvon, seien seine finanziellen Mittel nicht unerschöpflich, und die Bankkonten schrumpften in gleichem Maße, wie die Enttäuschung über den ausbleibenden Erfolg wuchs.
    Was blieb Howard Carter also anderes übrig, als seinen Gönner zu überzeugen? Mithilfe von Lady Evelyn, der Tochter Carnarvons (die, wie wir mutmaßten, ein Auge auf den Archäologen geworfen hatte), gelang es ihm schließlich, die eigene Begeisterung auf sein müdes Gegenüber zu übertragen. Und Lord Carnarvon erklärte sich bereit, eine letzte Saison zu finanzieren.
    Bevor wir erneut nach Ägypten aufbrachen, statteten Tom und ich unserer Familie in Salisbury einen Besuch ab. Und noch heute erfüllt mich die Erinnerung an jene Stunden mit einem tiefen Unbehagen. Wenngleich der Empfang herzlich und der Abschied tränenreich war, so bestand doch kein Zweifel daran, dass wir uns von den Personen, die wir einst gewesen waren, entfernt hatten und dies den Menschen, die einst unser Leben bedeutetet hatten, auch schmerzlich bewusst geworden war.
    Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte ich in einem Brief an Arthur Holmwood diesen von seinem Versprechen, mich zu heiraten, entbunden. Ihn wiederzusehen, blieb mir erspart in jenen Tagen.
    Doch auf ein Erlebnis mochte ich nicht verzichten. Gemeinsam mit Tom fuhr ich zum Monument von Stonehenge, wo wir einst eine kalte Nacht verbracht hatten, weil wir uns davon Einblicke in die Welt der Gespenster erhofft hatten. Nach den beiden Jahren, die wir größtenteils in der Wüste zugebracht hatten, lechzten unsere Augen förmlich nach den saftig grünen Hügeln der Heimat. Doch etwas hatte sich an dieser Gegend verändert. Ein absonderliches Gefühl war es, das zu erkennen. Obschon ich bereits davon gelesen hatte. Miss White hatte mir vor einem Jahr ein Buch zum Geschenk gemacht: »Die sieben Säulen der Weisheit«. Thomas Edward Lawrence beschreibt darin die Magie der Wüste, jene hypnotische Faszination, der man nicht wieder entrinnen kann, befindet man sich einmal in ihren Fängen. Und so kehrten wir zurück nach Ägypten.
    Unser Leben im Tal der Könige indes war nicht das schlechteste. Langsam wurden wir zu dem, was Lawrence als »Kinder der Wüste« bezeichnet hatte. Ahmed Gurgar schenkte mir zu meinem Geburtstag eine rituelle Tätowierung der Qasr Ibrim-Bedus, die er persönlich anfertigte und die seit jenem Tag im Oktober des Jahres 1922 den Rücken meiner linken Hand ziert. Wir erlernten die Sprache des Landes zuzüglich einiger Dialekte der vorbeiziehenden Beduinenstämme. Der

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