Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Tut-ankh-Amen in Memphis führte, wo er eines jungen Mannes kostbarstes Gut verlor: sein Herz.
Der Hohepriester des Isis-Tempels, angeblich des Pharaos älterer Bruder Smenkh-ka-Re, betörte den Jüngling. Doch bald schon stellte sich heraus, dass es die Mutter des Pharaos war, die sich hinter der Maske des Priesters verbarg, um das Reich aus dem Verborgenen heraus zu lenken: Als Smenkh-la-Re lebte Nefer-titi in Memphis und wies ihren Sohn in den Regierungsgeschäften an.
Und Nefer-titi verliebte sich in den jungen al-Vathek.
Es war ihrer beider Geheimnis und eine wirklich große Liebe.
Doch dann zwang die Erkrankung von al-Vatheks Schwester ihn zur Heimkehr nach Bagdad. Die Schwester starb, und al-Vathek machte sich, erfüllt von tiefer Trauer, auf den Weg zurück nach Ägypten.
Jedoch geschehen merkwürdige Dinge, wenn es das Schicksal danach gelüstet.
Al-Vatheks Karawane geriet in einen Sandsturm und verirrte sich. Nach Tagen des Umherirrens erreichten sie eine Stadt namens Ghulchissar, wo eine betörende Frau zum Verderben aller wurde.
»Carathis«, unterbrach ich Miss White. »Sie war diejenige, die aus al-Vathek einen Wiedergänger machte.« Mir war, als hörte ich die Stimme des alten Gelehrten in der Moschee in Kairo.
»Und seine Gefährten wurden getötet«, fuhr Miss White fort. »Bösartige und bleiche Kreaturen tummelten sich in der düsteren Stadt. Jedes Kind kennt diese Erzählung. Doch hören Sie, was dann geschah.«
Al-Vathek kehrte in die Königsstadt zurück und brachte die Seuche aus Ghulchissar an den Nil. Der junge Mann ahnte bereits, dass er sich verändert hatte. Ihn gelüstete nach dem Blut anderer Menschen, und er begann des Nachts durch die Gassen von Memphis zu schleichen und seine Opfer zu erwählen.
Vielleicht wäre er anders verfahren, hätte er von jener Krankheit gewusst, die er unwissend übertrug und die sich ausbreitete wie Sand mit dem Wüstenwind. Denn jeder, dessen Blut al-Vathek trank und den er nicht tötete, verwandelte sich in eine kranke Kreatur der Nacht. Diese Wesen scheuten das Licht, weil es ihnen Schmerzen bereitete. Ihr Geist war verwirrt, und Tieren gleich gingen sie auf die Jagd. Des Pharaos Untertanen schlossen sich in ihren Behausungen ein und lauschten bangen Herzens dem Geschrei der Hyänenmenschen, die es in Rudeln durch die Städte trieb.
Der junge Pharao hörte vom Leiden seines Volkes und wusste keinen Rat. Selbst seine Mutter Nefer-titi, die Geliebte al-Vatheks, ahnte nichts vom Ursprung des Übels. Bis zu jener Nacht, in der al-Vathek mit blutiger Kleidung in den Palast zurückkehrte und sich unentdeckt wähnte, bis Nefer-titi ihn zur Rede stellte. Der Priesterin in tiefer Liebe verfallen, vertraute sich al-Vathek ihr an und berichtete von seinen nächtlichen Raubzügen. Mit Grauen vernahm Nefer-titi seine Worte, doch konnte selbst diese schreckliche Wahrheit ihrer Liebe nichts antun.
Nefer-titi schwieg, und dieses Schweigen brach sie selbst dann nicht, als der junge Pharao erkrankte. Stattdessen frönte sie den weltlichen Gelüsten mit al-Vathek, und trunken von Liebe und Wollust, machte dieser sie zu seinesgleichen.
So nahm das Schicksal seinen Lauf.
»Dann war nicht Nefer-titi diejenige, die al-Vathek verraten hat?«
Miss White schüttelte den Kopf. »Sie liebte ihn, war ihm vollkommen verfallen. Und er war ihr ebenso hörig. Die tragischste aller Verstrickungen. Sogar Shakespeare erkannte das später.«
»Doch wer verübte dann den Verrat?«
»Es gab keinen Verrat«, erklärte sie mir. »Nefer-titi opferte sich nämlich nicht, wie es überliefert wurde, zum Wohle ihres Reiches. Es war eine Aneinanderreihung unglückseliger Zufälle. Wie so oft im Leben.«
Zwei Ghule gab es nun, die ihr Unwesen im Königreich trieben. Tut-ankh-Amen starb an der geheimnisvollen Seuche und wurde in einer feierlichen Zeremonie beigesetzt. Die Regentschaft im Reich übernahm ein Höfling namens Aja, dem bereits nach einem Jahr der Würdenträger Haremhab nachfolgte.
Es geschah unter dessen Herrschaft, dass man Nefer-titi dabei ertappte, wie sie sich an einem Säugling labte. Die Zeugen jener Tat riefen die Wachen herbei, und kurz darauf sperrte man Nefer-titi in den Kerker. Ihre Schuld stand fest. Blut klebte an ihren Händen und Lippen. Man verfuhr mit ihr, wie die Götter es verlangten.
Nachdem man ihr die Zunge herausgeschnitten hatte, wurde sie lebendig in einem Sarkophag eingeschlossen und dem Tode überantwortet. Al-Vathek, der sich zur Zeit des
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