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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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schüttelte.
    »Was ist das?«
    Darauf achtend, dass uns niemand zuhörte, flüsterte ich nahezu verschwörerisch: »Spanische Dublonen.«
    Emily wirkte skeptisch.
    »Sie scherzen.«
    »Sehe ich so aus?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    Ich ließ das Säckchen mit den Dublonen in meinem Mantel verschwinden. »Die benötigen wir, wenn wir Goldhawk passieren wollen.«
    »Besser als Gedichte allemal«, murmelte meine Begleiterin.
    Der Gatekeeper von Goldhawk jedenfalls sah aus wie alle Gatekeeper. Zudem roch er so, wie die meisten Gatekeeper riechen. Etwas ranzig. Nach Moder. Feucht und bitter zugleich. Doch war er freundlich und warnte uns vor den Wölfen Kensingtons.
    »Kein’ Spaß verstehn’ die nich’«, grummelte der Blinde mit der Tränengassprühdose unterm Wams, das wie ein Kostümbestandteil einer Laienspielgruppe aussah, die Shakespeare aufführte. »Un’ Fremde tun se gar nich mög’n tun.« Er hustete lautstark. »Nee, nee, pass’n Se da bloß auf!«
    »Wir danken Euch für die Passage, alter Mann, und achten auf uns«, versprach ich ihm und entrichtete den Wegezoll mit einer Packung parfümierter Feuchttücher.
    Dann folgten wir einer senkrecht abfallenden Röhre hinab, bis wir das laute Rauschen eines mächtigen Flusses vernahmen.
    »Das«, erklärte ich meiner Begleiterin, »ist der Westbourne.«
    Einer der vergessenen Flüsse Londons.
    Von denen, das wusste Emily, es viele gab.
    »Der Fluss«, sagte ich, »entspringt an der Westseite Hampsteads und fließt dann Richtung Südwesten die Bayswater Road entlang, bis er schließlich im Hyde Park den großen See bildet.«
    Auf dem Weg hinab zur Themse hatte man den Fluss schon lange überbaut, und so ist er nunmehr einer jener Flüsse, die das Reisen in der uralten Metropole beschleunigen können, sofern man in der Lage ist, sein Boot durch die Stromschnellen zu steuern.
    »Mylady Hampstead«, erinnerte ich mich der Geschichten, die mir die alte Rättin erzählt hatte, als ich noch ein unwissendes Kind und neu in der Stadt der Schornsteine war, »hat in den engen Abwasserkanälen, die zum Westbourne hinunterführen, das Licht der Welt erblickt.«
    Emily wusste, wie sehr ich die alte Rättin geliebt hatte.
    Ein Zuhause hatte sie mir gegeben. Die Möglichkeit, Wissen zu erlangen. Sie war diejenige gewesen, die mir vor so langer Zeit das Studium der Alchemie ermöglicht hatte. Die Magister McDiarmid aus Islington davon überzeugt hatte, mich als Lehrling anzunehmen.
    Emily hatte die alte Rättin gemocht, und sie vermisste die Gegenwart der Ratten, von denen manche sehr nett und hilfsbereit gewesen waren.
    Einige der Ratten hatten bittersten Verrat begangen. Und deshalb sind Ratten jetzt keine gute Gesellschaft mehr.
    So ist das.
    Punktum.
    »Es gibt eine Brücke, die den Westbourne überspannt.«
    »Lassen Sie mich raten«, fiel Emily mir ins Wort, »in Goldhawk.«
    Wir erreichten den Fluss.
    Schmale Stege aus Holz, das nach Fäulnis stank, liefen zu beiden Seiten des Wassers an den schrägen Wänden der Kanalröhre entlang. Eisige Winde strichen über die schwarzen Wellen, die sich an den algenbefallenen Steinwänden brachen.
    »Dort entlang«, wies ich Emily den Weg.
    Die Stege führten uns zu einem vergessenen Bahnsteig, der schon lange keiner mehr war. Eine U-Bahn lag dort, war zur Seite gekippt, als wolle sie sich schlafen legen. Wasser umspülte die Türen und Fenster, und der Westbourne hatte Besitz ergriffen vom Inneren der Bahn, in deren Haut der Rost schon tiefe Löcher gefressen hatte.
    Wir kletterten über den Wagen und gelangten in einen röhrenförmigen Gang, der weiträumig und trocken war. Graffiti zierten die Wände. Zackige Gemälde von goldenen Wesen mit breiten Schwingen und spitzen Schnäbeln. Dazu Hieroglyphen, die eine Geschichte erzählten, in der Sonne und Sterne und Seefahrer eine besondere Rolle zu spielen schienen.
    »Sind das goldene Falken?« Neugierig trat Emily näher an die Wände heran. »Diese Graffiti sind wunderschön.« Fast war ihr, als könne sie die Wärme der Tiere spüren, so gelb und grazil und golden waren die Farben, die im Licht unserer Leuchtstäbe funkelten wie Edelsteine. »Wissen Sie, wer das gemalt hat?«
    »Die einstigen Falkner von Goldhawk.«
    Emily schien in Gedanken versunken zu sein.
    »Es gibt eine Legende, wie es immer Legenden gibt hier unten.«
    »Erzählen Sie sie mir?«
    »Es gibt nur diese Zeichen an der Wand«, entschuldigte ich mein Unwissen. »Und niemand weiß genau, was sie zu bedeuten

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