Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
stellten sich uns die beiden vor.
Maurice Micklewhite hieß der Größere der beiden, der einen eleganten Anzug aus leichtem Stoff trug und einen breitkrempigen Hut, der die hellen, nahezu grünen Augen beschattete. Sein Gefährte, ein blasser und mürrischer Mensch mit langem Haar, trug einen dunklen Kaftan, der ihn wie einen Einheimischen aussehen ließ. Mortimer Wittgenstein, so sein Name, weilte, wie auch sein Begleiter, seit einigen Monaten schon in Ägypten, doch trugen sie sich mit der Absicht, im kommenden Jahr nach London zurückzukehren.
»Die Ereignisse von Whitechapel«, so Maurice Micklewhite, »haben London nur Unglück gebracht.« Was immer er auch damit meinte. »Doch das ist jetzt alles vorbei. Ein neues Jahrhundert hat begonnen.« Er wirkte höchst zuversichtlich. »Ein Jahrhundert, in dem die Wissenschaft triumphieren wird.«
»Und London«, fügte Wittgenstein hinzu, »ist schließlich unsere Heimat.« Erst jetzt fiel mir auf, dass sich unter dem Saum des Kaftans eine große Ratte versteckte und uns neugierig entgegenblinzelte.
»Mit etwas Glück werden Sie beide erfolgreich sein.«
Es war Tom gewesen, der lachen musste. »Ja, mit Fortunas Hilfe und glücklichen Zufällen werden wir Reichtum und Ruhm ernten.«
Maurice Micklewhite lächelte verhalten, und Wittgenstein grummelte etwas, das wie »Es gibt keine Zufälle« klang. Die Ratte schwieg.
Dann unterhielt sich Tom kurz mit den beiden über die Ausgrabungen, die überall im Land vorangetrieben wurden, vornehmlich von Europäern und Amerikanern.
Wittgenstein begleitete uns auf einem kurzen Rundgang durch das Museum, nach dem wir uns höflichst empfahlen und ihn dort zurückließen, wo wir ihn vorgefunden hatten, nämlich in der schattigen Ecke bei den Wasserpfeifen, dem vornehm gekleideten Micklewhite und der fetten Ratte.
In Masperos Büro wurde uns dann englischer Tee angeboten.
»Howard Carter erwähnte einen Namen.«
»Vathek.«
»Nun, vor einigen Jahren hörte ich von einer Krankheit«, gab Maspero zu, »die von den Einheimischen gefürchtet wird und die sie mit dem Namen eines Ghuls,
El va-Thek
, in Verbindung bringen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber das gehört in den Bereich der Mythologie.« Langsam zündete er sich eine Zigarre an, paffte genüsslich einige Rauchringe hinauf zur Decke des kleinen Raumes. »Aber ich kenne vielleicht jemanden, der Ihnen weiterhelfen kann.«
Wir beobachteten ihn gespannt.
»Sein Name ist Jesid ibn al-Bekr«, erklärte Maspero. »Er ist ein moslemischer Gelehrter. Sie finden ihn in der Ibn-Tulun-Moschee, hier in Kairo. Wenn es irgendjemanden gibt, der Ihnen etwas über Vathek erzählen kann, dann ist es dieser Mann.«
Die Ibn-Tulun-Moschee befindet sich im Osten der Stadt, mit lehmfarbener Mauer und einem den Rest des Gebäudes überragenden Minarett.
Nachdem wir von dem Diener, der uns am Tor in Empfang nahm, durch den ersten der drei äußeren, die eigentliche Moschee umschließenden Höfe geführt worden waren, begrüßte uns ein hoch gewachsener Mann mit greisem und dennoch überaus dichtem Haar: »Ich heiße Sie willkommen in der
Madschid.
« Ein sauber zurechtgestutzter Kinnbart schmückte das hagere, markante Gesicht, dessen dunkle, von einer Nickelbrille umrahmte Augen sofort die Blicke auf sich zogen. Der Mann trug einen dreiteiligen Anzug britischer Machart. »Jesid ibn al-Bekr ist mein Name«, fuhr er fort und schüttelte überschwänglich unsere Hände. »Wie ich hörte, suchen Sie nach mir?«
»Wir sind Mitglieder einer archäologischen Expedition«, begann Tom, nachdem wir uns vorgestellt hatten, »die im Tal der Könige gräbt.«
Unser Gegenüber nickte und machte eine wissende Handbewegung. »Howard Carters Grabung?« Er lachte laut auf, als er unsere Überraschung erkannte. »Dies ist Ägypten«, sagte er. »Neuigkeiten sprechen sich schnell herum. Es ist ein kleines Land. Und interessiert an dem, was die Fremden mit unserer Vergangenheit anfangen.«
Während wir sprachen, folgten wir al-Bekr durch die Moschee. »Dieses Gotteshaus wurde vor Jahren als Gürtelfabrik entfremdet«, erklärte er uns kopfschüttelnd. »Später beherbergte sie dutzende von Läden. Ein Basar für die Ungläubigen. Als sie dann vor dreißig Jahren als historisches Denkmal eingestuft wurde, konnte sie endlich restauriert werden und wieder ihrem eigentlichen Zweck dienen.«
Wir erreichten ein weiträumiges Zimmer im Westflügel der Moschee, den Raum des Gelehrten. Schriftrollen
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