Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
und Bücher lagen verstreut in den hölzernen Regalen und auf dem steinernen Tisch in der Mitte des Raumes. Auf dem Boden breitete sich ein kunstvoll gearbeiteter Teppich aus, auf dem breite Kissen lagen. Schmale Schlitze in der Wand erlaubten einen nur dürftigen Blick auf den Sternenhimmel über Kairo.
Al-Bekr bat uns, die Schuhe auszuziehen und auf den Kissen Platz zu nehmen. In ungewohntem Schneidersitz begann Tom ihm in aller Kürze von unserem Fund zu berichten.
»Sie sagten, der Name sei Vathek?«, fragte al-Bekr mit ruhiger Stimme, der die Verwunderung, sofern diese überhaupt vorhanden war, kaum anzumerken war. »Und Sie glauben, dass sie sein Grab gefunden haben?«
Wir nickten einhellig.
Ich fragte mich, wie alt unser Gegenüber wohl sein mochte. Er hätte Ende fünfzig, aber auch weitaus älter sein können. Seine Stimme floss in der schwülwarmen Luft dahin wie dunkles, wohl riechendes Harz.
»Ich verbringe mein Leben damit«, begann er, »die alten Schriftrollen zu lesen.« Ganz gerade saß er auf seinem Kissen, die langen Finger strichen über den weißen Kinnbart. »Sie denken vielleicht, ein Gelehrter des Islam studiere ausschließlich die Botschaft Gottes. Aber der Koran ist nicht die einzige Schrift, die es zu deuten gilt.« Seine Hand zeigte zu der Vielzahl der uns umgebenden Schriftrollen. »Die Thora gehört ebenso zu den alten Texten wie weitaus unbekanntere Schriften.« Seine Stimme vibrierte leicht. »Alte Überlieferungen, die Zeugnis geben von längst vergessenen Geschehnissen.« Ein gutmütiges Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Aber ich schweife ab vom Thema«, bekannte er. »Sie möchten etwas über Vathek erfahren? Prinz Vathek aus dem Haus der Abassidesn, den man später den Bezwinger nannte?«
»Es ist wichtig«, sagte ich.
Und Tom fügte hinzu: »Können Sie uns erklären, wer er war?«
»Zu helfen ist mir immer eine Freude.« Al-Bekrs Blick verfinsterte sich, als er mit tiefer Stimme verkündete: »Es ist nicht Vathek, dessen Knochen Sie gefunden haben.«
»Wer ist es dann?«, fragte ich vorschnell.
Al-Bekr lächelte gutmütig und wissend. »Es ist eine Geschichte aus alter Zeit, ungeduldige Miss Holland«, begann er. »Aus der dunklen Vergangenheit dieses Landes, als die alten Götter noch große Macht hatten. Es erfordert Zeit, von diesen Dingen zu erzählen.«
Mich für mein ungeduldiges Verhaltend entschuldigend, erntete ich ein belustigtes Lächeln al-Bekrs. »Es ist das Vorrecht der Jugend, ungeduldig zu sein«, bemerkte er, um sodann wieder ernst zu werden. »Geben Sie mir einige Augenblicke, in denen ich meine Gedanken sammeln kann. Dann schweigen und lauschen Sie der Geschichte, die ich zu erzählen habe.«
Und dies sind die Geschehnisse aus alter Zeit, die wir in jener Nacht aus dem Munde al-Bekrs vernahmen …
Es ist die Geschichte Vatheks aus dem Land der zwei Ströme, dessen Reisen ihn an Orte führten, die bis zu jenem Zeitpunkt kein Sterblicher je erblickt hatte. Von edlem Gemüt und erfüllt von Anmut und Kraft, war Vathek der Stolz seines Vaters und ein würdiger Erbe des alten Kaufmannes, der seinerseits als junger Mann ein Gast am Hofe von El-Amarna gewesen war. Doch es kam die Zeit, in der ein junger Mann, von Unruhe erfüllt, Taten vollbringen möchte, sodass jene, die nach ihm kommen, von der Ehre und dem Ruhm künden mögen, die er sich erworben hat. Vathek brannte darauf, die fernen Länder zu bereisen, welche er nur aus den Erzählungen der Seefahrer und Händler kannte, die er als Kind in seines Vaters Hof belauscht hatte und die vielen fremden Völker kennen zu lernen. Vatheks Vater, der viel von der Welt gesehen hatte, ein Kaufmann von Rang und Namen und zudem ein fürsorglicher Vater, fand alsbald eine Aufgabe, die sich als eines jungen Mannes würdig erwies. Vathek sollte nach Memphis jenseits des Sinai und des Roten Meeres reisen, wo ein neuer Pharao residierte, dem man unsagbare Reichtümer nachsagte. Das Königreich am Nil, so die Berichte, wuchs und gedieh unter der Herrschaft Pharao Tut-ankh-Amens. Vathek sollte dem jungen Pharao seine Aufwartung machen, ihm prachtvolle Geschenke des Kalifen überbringen und Gespräche über die Handelsbeziehungen der beiden Reiche führen, wie es einst auch sein Vater am Hofe von El-Amarna getan hatte.
So begab es sich also, dass Prinz Vathek in Begleitung seines treuen Gefährten Ahmad ibn-Razi und einer Gefolgschaft der königlichen Garde unter dem Kommando von Wesir Yakut ibn-Kael in den Westen
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