Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Priester des Isis-Tempels auf diesen Befehl Smenkh-ka-Res hin in den Palast eindrangen und Vathek in Ketten legten und abführten, da heulte dieser vor Wut laut auf, und es war, als erfülle das Geheul von tausend Schakalen die verseuchte Luft über Memphis. Die Menschen, die jenes Geräusch vernahmen, sollten noch ihren Kindern warnend und mit angsterfüllter Stimme davon berichten. Vathek erkannte den Plan seiner geliebten Nefer-titi, und rasende Verzweiflung bemächtigte sich seines Herzens. Nefer-titi nämlich hatte erkannt, zu welch einem Wesen er sie gemacht hatte und dass sie beide jene Plage über das Land bringen würden, die schon seit Wochen in Memphis wütete. Sie hatte ihr Leben beendet, bevor das Blut eines Ghuls vollends ihr Herz hatte vergiften können. Nur so hatte sie ihrem Volk größeres Leid ersparen können. Und Vathek, ihr Geliebter, sollte sie ins Grab begleiten.
Am Vorabend der Beisetzung Nefer-titis bedeckten die Smenkh-ka-Re treu ergebenen Priester Vatheks Gesicht mit einer eisernen Maske. In schwere Ketten gelegt, verbrachte Vathek die Nacht im Kerker des Palastes, bewacht von einem der Priester. Doch als die Schwärze der Nacht ihren Höhepunkt erreichte, da spürte Vatheks Bewacher fremde Gedanken, die sich in sein Bewusstsein schlängelten. Als der Priester später wie aus Träumen erwachte, da schmeckte er den rostigen Knebel in seinem eigenen Mund. Die eiserne Maske des verurteilten Ghuls bedeckte nun sein eigenes Gesicht. Starke Arme hielten seinen Körper fest umklammert und betteten ihn in ein tiefes Behältnis. Er vernahm den rituellen Totengesang, als Hände seine Gliedmaßen an den kalten Stein ketteten. Die grellen Schreie des Priesters vermischten sich mit dem feuchten Geräusch der eisernen Schrauben, die quälend langsam in seine Augen gedreht wurden. Schmerz bemächtigte sich seines Bewusstseins, und seine lang gezogenen Schreie übertönten das Geräusch schabender Sandkörner, als der Sarkophag über ihm für alle Zeiten geschlossen wurde.
Hier verstummte al-Bekr. Er erhob sich von seinem Kissen, ging zu einem der Regale und kehrte mit einer alten Schriftrolle zurück, welche er sodann vor unseren Augen auf dem Teppich ausbreitete. »Es ist nicht Vathek, dessen Knochen Sie im Bilban-el-Muluk gefunden haben«, sagte der Gelehrte. »Es sind die Knochen jener armen Seele, die statt des Ghuls, in den sich Vathek verwandelt hatte, beigesetzt wurde.«
»Der Priester«, murmelte Tom.
Al-Bekr nickte.
Ich fragte: »Und was geschah mit Vathek?«
Al-Bekr deutete auf die Schriftrolle, auf der eine Landkarte aus alter Zeit zu erkennen war. »Schauen Sie hier«, fuhr er fort, »und lauschen Sie meinen Worten.«
Das Grab wurde versiegelt. Niemand sollte je davon erfahren. Außer den Priestern wusste niemand von der geheimen Grabkammer. Nefer-titi indes wurde in einem prunkvollen Sarkophag bestattet. Dem Willen der Götter folgend, gab man ihr Schätze und andere Beigaben mit auf den Weg. Dann beschloss man, die Geschichte des Hohepriesters zu verändern. Der Name Vatheks sollte vom Angesicht der Erde getilgt, sollte vollends aus dem Leben Smenkh-ka-Res entfernt werden. So entstand eine neue Geschichte, die vom Ruhm und Leben des Smenkh-ka-Re kündete, der in der goldenen Zeit des Reiches sein Leben gelassen hatte, um eine schreckliche Plage vom Land seiner Ahnen abzuwenden.
Zweierlei indes sollte für immer vor den Augen der Welt verborgen bleiben. Das Erste war die Erkenntnis, dass sich hinter dem Namen Smenkh-ka-Re die wunderschöne und kluge Nefer-titi verborgen hatte. Das zweite Geheimnis war das Wissen um die Ereignisse, die sich in jener Nacht in den Mauern des Kerkers zugetragen hatten.
Vathek indes war die Flucht gelungen. Es entstanden Geschichten unter dem einfachen Volk, die von den nächtlichen Heimsuchungen durch den Ghul zu berichten wussten. Auch erzählte man sich, dass Vathek das
grauenhafte Kaf
überquert habe, um jenseits des Endes der Welt sein eigenes Reich zu gründen. Wieder andere berichteten, er sei zu seiner Herrin Carathis nach Ghulchissar zurückgekehrt.
»Ich selbst«, fuhr al-Bekr fort, »glaube, dass er das
grauenhafte Kaf
überquert hat.« Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. »In der alten Zeit, das müssen Sie wissen, glaubten wir, dass die Welt von einem Gebirge begrenzt wird, dem
grauenhaften Kaf
.« Er deutete auf die Landkarte. »Dies hier ist es.« Sein Finger folgte den Gebirgsformationen des Kaukasus, des pontischen Gebirges, der
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