Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
mit besonderer Hochachtung entgegenzutreten pflegten. Er begrüßte uns mit einer öligen Höflichkeit in seiner Heimatstadt und chauffierte uns sodann mit dem kanzleieigenen Automobil zum »Gábor Szállodája«, einem kleinen Hotel am Belgrád Rakpart im Stadtzentrum von Pest. Nachdem er sich geflissentlich nach unser beider Wohlbefinden und dem unseres Vaters erkundigt hatte, ließ er uns dort in der Gewissheit zurück, dass uns am späten Nachmittag ein junger Geschichtsstudent namens Tibor Vanko als Dolmetscher zur Verfügung stehen würde.
Da weder Tom noch ich selbst den Wunsch verspürten, den anbrechenden Sommertag ungenutzt verstreichen zu lassen, hinterließen wir an der Rezeption eine Nachricht für Herrn Vanko, in der wir ihm versicherten, rechtzeitig zur Teezeit ins Hotel zurückzukehren, und ihn baten, im Salon auf uns zu warten.
In den folgenden Stunden erkundeten wir die Umgebung, liefen ohne Ziel durch die langen Straßen, ließen uns treiben im Getümmel der Stadt, deren »Belle Époque« seit zwei Jahrzehnten der Vergangenheit angehörte und die so unverhohlen ein Abbild der europäischen Metropolen sein wollte, dass einen fast unentwegt das Gefühl beschlich, sich durch Paris zu bewegen. Während wir uns in den Strom der flanierenden und gaffenden Passanten am Ufer der Donau einreihten, erklärte mir Tom, dass die ungarischen Baumeister, eifrig darum bemüht, weltmännisch zu erscheinen, den Baustil Wiens zu imitieren versucht hatten, welcher seinerseits eine Nachahmung des Pariser Stadtbildes war. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die vielen Kaffeehäuser, die an jeder Straßenecke die breiten Gehwege säumten, und das System der Radial- und Ringstraßen.
Dennoch wirkte die Stadt, wenngleich durch ihre Architektur vordergründig vertraut, fremdartig auf uns. Ein buntes Sprachengewirr umgab uns allerorten. Neben dem Ungarischen wurde sowohl Deutsch (mit unverkennbar österreichischer Akzentuierung) als auch Französisch (die Sprache der Intellektuellen Europas) gesprochen. Hier und da konnte man auch einige englische und italienische Laute vernehmen. Trotz der Vielzahl neuer Impressionen überkam mich nach einiger Zeit des Umherwanderns eine träge Müdigkeit, die ich auf den Klimawechsel zurückführte. Budapest präsentierte sich uns an diesem ersten Tag unseres Aufenthaltes in gleißendem Sonnenschein, und wieder einmal glaubte ich, in einem Tagtraum gefangen zu sein. Als ich mit Tom am Donaukai stand und über den Fluss hinüber zum Schlossberg blickte, da schien Karnak mit seinen Geheimnissen tausende von Jahren entfernt zu sein; das in England zurückgelassene Leben schien nie existiert zu haben.
Es war ein nahezu perfekter Augenblick. »Wohin wird uns diese Reise führen?«, fragte ich Tom leise, den Blick von den grünen Hügeln des Gellértberges abwendend.
Seine Augen zwinkerten mir süffisant zu, als er Ahmed Gurgar zitierte: »Zu Reichtum und Ruhm, kleine Eliza.« Fast schon klang er übermütig, und zum ersten Mal seit vielen Wochen schien es, als sei mein Bruder glücklich. Rasch gab ich ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte in sein Ohr: »Reichtum und Ruhm.«
»Professor Molnár ist der Leiter des Nationalmuseums und ein begeisterter Völkerkundler.«
Tibor Vanko, unser Dolmetscher, sprach tadellos Englisch. Er schien nur unwesentlich älter als ich selbst zu sein. Seine dunklen Augen waren hinter einer runden Drahtbrille versteckt. Die leicht gekrümmte Nase und das lockige schwarze Haar gaben dem jungenhaften Gesicht etwas schelmisch Naives.
»Der Professor erwartet gespannt Ihrer beider Ankunft«, gestand er, während wir die Stufen zu dem Museum erklommen. Wir hatten die Straßenbahn genommen, um zum Museum am Calvin tér zu gelangen. Das Museum wurde von einem barocken Bau beherbergt, der ebenso auffallend protzig wirkte wie viele der Gebäude, die wir während unseres Spazierganges und der Fahrt mit der Straßenbahn gesehen hatten. Eine breite Treppe führte zum Portal des Museums hinauf, welches gesäumt wurde von massiven Säulen.
»Ich hörte einige Vorlesungen des Professors an der Universität in Wien«, sagte Tibor Vanko, als wir in der schaukelnden Straßenbahn saßen. Draußen in den gepflasterten Straßen herrschte das Getümmel reger Geschäftsamkeit. Wieder erfüllte mich das Gefühl, in London oder Paris zu sein. »Er hat dort einen Lehrstuhl für Völkerkunde inne.« László Geiger hatte demnach nicht nur einen Dolmetscher engagiert, sondern
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