Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
Ratschläge gegeben zu haben. Wilhelmina White. Snowhitepink. Eliza. Es ist, als würdest du in einen Spiegel hineinschauen und sehen, was der Spiegel in dir sieht.«
»Das ist schrecklich.«
»Es hat mich beinah um den Verstand gebracht.«
Nachdenklich beobachtete Emily die einstige Freundin und fragte sich, ob sie immer noch ihre Freundin war. Ob man ihr vertrauen konnte. Ob sie ihr vertrauen konnte.
»Du zweifelst an mir, stimmt’s?«
»Frag lieber nicht.« Warum lügen?
Eliza lächelte milde. »Ist schon in Ordnung. Ich bin, was ich bin.«
»Du wolltest mir von Pilatus Pickwick erzählen.«
Mr. Fox und Mr. Wolf standen irgendwo weiter unten auf einem der schrägen Türme und hielten eifrig Wache. Emily konnte ihre schattenhaften Bewegungen im schwachen Licht der Fackeln erkennen.
»Pickwick hat Alicia geliebt. Zeit seines Lebens hat er nach ihr gesucht.«
Emily erinnerte sich.
An den Arzt.
Professor Pilatus Pickwick.
Der ein anerkannter Höllenforscher und Verfasser der »Pickwick-Papiere« gewesen und in die Regionen der Hölle hinabgestiegen war, weil er dort seine seit langem verlorene Schwester zu finden hoffte.
Die junge Alicia Pickwick hatte die frühen Lebensjahre auf dem Landsitz Charles Dodgsons in Llundadno in Wales verbracht, wo auch Mara Manderley bis vor wenigen Monaten noch gelebt hatte.
Doch dann, eines Tages, war sie einfach vom Angesicht der Erde verschwunden, und Charles Dodgson, der fürchterlichste Verdächtigungen und Beschuldigungen über sich hatte ergehen lassen müssen, war in die Stadt der Schornsteine gekommen, um vor dem Gericht über die Dinge auszusagen, deren man ihn bezichtigte.
Er wurde freigesprochen, doch haftete ihm seit jenen Tagen der Ruf eines Menschen an, in dessen Gegenwart man Kinder nicht unbedingt unbeaufsichtigt lassen sollte.
Die kleine Alicia war in einem Loch in der Erde verschwunden, das kaum größer als ein Kaninchenbau war. Dodgson hatte der Polizei davon berichtet, doch niemand hatte ihm geglaubt.
Wie auch?
Die seltsame Geschichte von einem Kaninchenloch, das geradewegs in die Hölle hinabführen sollte, war so offensichtlich ein Hirngespinst in den Augen der ermittelnden Beamten, dass ihm natürlich niemand Glauben schenkte. Niemand, bis auf den Bruder der Verschwundenen.
Pilatus Pickwick begann akribisch jede Art von Information zu sammeln, die mit Fällen dieser Art zu tun hatte, und wurde schnell zu einem Fachmann für die Hölle. Wo immer es Berichte über seltsame Phänomene aufzuspüren galt, da tauchte Pickwick auf.
So hatte Eliza ihn kennen gelernt.
Damals in Budapest.
Viele Jahre lang hatte sie ein gemeinsames Schicksal verbunden, das in einem kleinen Dorf namens Aghiresu begonnen und hier in Pandaemonium geendet hatte.
Dann waren sie den Mala’ak ha-Mawet begegnet.
»Ich musste es ihm sagen.« Eliza hatte Tränen in den Augen, als sie es Emily gestand.
»Was?«
»Du erinnerst dich an die Geschichten, die man dir von Lilith erzählt hat?«
Dass sie überall auf der Welt Kinder geraubt und in die tiefen Höllenkreise verschleppt hatte, um den Lebensbaum mit ihrer Unschuld zu nähren? Wie hätte Emily dies jemals vergessen können? Noch immer träumte sie in unruhigen Nächten von den Geschehnissen, deren Zeuge sie damals in London geworden war.
»Die kleine Alicia Pickwick erfuhr das gleiche Schicksal wie all die anderen verschwundenen Kinder von London.«
»Lilith wusste, was ihr zugestoßen war?«
Eliza nickte stumm.
»Du hast es ihm gesagt?«
Wieder nur ein Nicken.
Eliza weinte.
»Ich habe es gewusst, auf einmal. Verstehst du, Emily? Jahrelang wusste ich, dass Pickwick nach seiner Schwester gesucht hat, und dann kenne ich plötzlich ihr Schicksal, weil ich mit einem Mal diejenige geworden bin, die dem kleinen Mädchen zum sicheren Verderben geworden war. Es war Schuld, die auf einmal da war, weil ich Lilith geworden war.« Sie wischte sich die Tränen aus dem bleichen Gesicht. »Fast ein Jahr lang habe ich mein Geheimnis für mich behalten. Pickwick hat mir von seiner Schwester erzählt, Emmy. Ja, er hat mir von dem Mädchen mit den süßen Zöpfen erzählt, an das er sich erinnerte, als sei er ihr gestern zum letzten Mal begegnet.« Ihre Hände zitterten. »Ich musste es ihm sagen. Ich musste ihm sagen, dass er Alicia niemals mehr wiedersehen wird.« Sie biss sich auf die Lippe und schloss die Augen. Schnappte nach Luft. »Wie hätte er anders als mit abgrundtiefem Hass auf meine Worte reagieren
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