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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Gespräch in der Bibliothek von Pandaemonium hatte sie geglaubt, er sei ein wenig netter zu ihr.
    Weit gefehlt!
    Tristan Marlowe war der gleiche arrogante Gelehrte, als der er sich ihr bereits im Britischen Museum präsentiert hatte.
    »Wir haben doch aber nichts verbrochen.«
    »Wir sind Fremde. Das allein schon könnte ausreichen, um in unangenehme Schwierigkeiten zu geraten.«
    Tristan Marlowe schien seine Erfahrungen gemacht zu haben. Trotzdem verstand Emily nicht wirklich, was er damit meinte. Niemand hatte sich etwas zuschulden kommen lassen. Warum also sollte sie oder irgendwer sonst für die Polizei von Interesse sein?
    Sie beobachtete Tristan Marlowe, der seine Blicke überaus wachsam über den Platz schweifen ließ. Gerade so, als erwarte er Ärger. Er wirkte unruhig, recht angespannt. Manchmal zupfe er an den Spitzen der Haare, die ihm in den Kragen des Mantels gefallen waren.
    »Dort ist es!«
    Zielstrebig steuerte ich auf einen schmalen Durchgang in einer Ecke des Platzes zu, der uns in die Melantrichova-Passage eintreten ließ, wo sich, wenn ich mich recht entsann, eine kleine, unauffällige Herberge befand, in der ich schon früher einmal abgestiegen war.
    Damals, als McDiarmid mich hierher gebracht hatte.
    Damals, damals …
    Ein Wort, das seit unserer Ankunft in meinem Bewusstsein hallte …
    Seit über achtzig Jahren war ich nicht mehr hier gewesen, und die Erinnerung an das, was einst geschehen war, begann erneut zu atmen. Die Bilder waren immer noch da.
    Rima, wie sie mich ansah, als sie Maurice Micklewhite in die Nacht folgte. Das Gefühl der Einsamkeit, das ich seit jeher mit Prag verband. Ich war auf der Flucht gewesen, weil ich zu einem Mörder geworden war, und das junge Leben war mir gar nichts mehr wert gewesen. Wäre jemand gekommen, der mich getötet hätte, so wäre ich ihm vermutlich im letzten Atemzug dankbar um den Hals gefallen. Rima war fort gewesen, und niemals, das wusste ich, würde ich sie wiedersehen. Allein die Hoffnung, dass es vielleicht doch noch Hoffnung gab, hielt mich davor zurück, meinem Leben ein Ende zu bereiten.
    »Ist alles in Ordnung?« Emily war neben mich getreten. »Sie sehen aus, als sähen Sie Gespenster.«
    »Ich sehe einen jungen Mann, der in eine fremde Stadt gekommen ist und als Fremder in seine Heimatstadt zurückkehrte.« Selbst die Luft roch noch so, wie sie es damals getan hatte. »Es ist so lange her, Miss Laing. Heute sind Sie fast so alt, wie ich es damals gewesen bin.«
    Sie sah mich mitfühlend an. »Was ist damals passiert?«
    Tristan Marlowe war vorausgegangen und klopfte gegen die Tür der Herberge, über der ein kunstvoll verziertes Holzschild mit der Aufschrift »Das grüne Gesicht« baumelte.
    Dies hier war nicht für seine Ohren bestimmt: »Einmal hat Rima mir eine Frage gestellt. Sie hat gefragt, was ich später sein will, später, nach der Schule. Da hatten wir uns gerade erst kennen gelernt.« In einem Pub namens »The Cheshire Cheese«.
    »Was haben Sie geantwortet?«
    »Niemals will ich allein sein.« Schneeflocken begannen vom Himmel zu fallen. »Das habe ich ihr gesagt.«
    Emily sah so als, als verstünde sie, was ich ihr sagen wollte.
    »Ich war nicht einmal einen Tag in Prag gewesen, als ich verstand, wie mein Leben sein würde.« Ich sah sie an und schwieg einen Moment lang. Dann sagte ich es ihr: »Ich würde allein sein, für den Rest meines Lebens würde ich allein sein. Es war so klar gewesen, unumstößlich. Rima war meine Liebe gewesen, und nimmer würde mein Herz einer anderen gehören. Damals habe ich es gewusst. Dass man sein Herz nur einmal verlieren kann im Leben.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt weiß ich, dass ich es damals bereits erkannt hatte. Mein Gott, wie alt ich war, Miss Laing. So viel älter schon, als ich es heute bin.« Klang das bedauernd? Ich konnte nicht einmal sagen, ob es das tun sollte. Die Dinge waren einfach, wie sie waren. Wie sie geworden waren. »Nicht einmal ein Photo habe ich von Rima. Aber das brauche ich auch gar nicht.«
    Emily schwieg.
    Es war unschwer zu erraten, dass sie an den jungen Musiker dachte.
    »Miss Laing?«
    »Ja?«
    »Es gibt keine Zufälle.«
    Ich sah sie lange an.
    Dann lächelte sie zögerlich.
    Schließlich sagte sie: »Ja, ich weiß.«
    Und das, was in dem gesunden Auge funkelte, war Hoffnung.
    Die Hoffnung, dass es vielleicht noch Hoffnung gab.
    »Wittgenstein.« Bedächtig sprach sie jede Silbe aus. »Sie haben Rimas Namen angenommen, als Sie nach London zurückgekehrt

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