Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Kunstwerks derart bestrafen konnte.
    Die Menschen, dachte sie, sind schon immer schlecht gewesen. Macht, das hatte sie gelernt, führte fast immer dazu, dass sich die Mächtigen davor fürchteten, auch nur ein wenig von dieser Macht einzubüßen. Und die Mittel, zu denen sie griffen, um die Macht festzuhalten, waren nur viel zu oft mit schreiender Ungerechtigkeit und Blutvergießen verbunden. Was, so mutmaßte das Mädchen, in der Natur des Menschen liegen mochte.
    »Warum sind die Mala’ak ha-Mawet uns nicht gefolgt?« Emily schaute sich erneut vorsichtig um. Sie traute dem Frieden nicht. Waren die Höllenelemente nicht den Engeln untertan?
    »Sie sind uns nicht gefolgt, aus welchem Grund auch immer«, gab ich zur Antwort.
    »Aber sie hätten ebenfalls die Fegefeuer nutzen können.«
    »Hätten sie.«
    »Aber?«
    Oh, dieses Kind!
    »Fragen Sie nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Sie sind nicht hier, und wir sollten uns den Kopf nicht darüber zerbrechen, weswegen sie nicht hier sind.«
    »Hm«, grummelte sie, schien mit meiner Antwort aber keineswegs zufrieden zu sein.
    »Wir sind hier, und der Augenblick zählt«, fügte ich hinzu.
    Emily nickte versöhnlich.
    Sie hatte Mühe, sich in der neuen Stadt zurechtzufinden. Die Reise in dem Fegefeuer hatte nur wenige Augenblicke gedauert, und ihr war, als sähe sie noch die Umrisse Pandaemoniums vor sich. Ein letzter Blick zu Aurora und den anderen war ihr vergönnt gewesen, und dann waren die Bilder fort gewesen. Dafür hatte sie an Adam denken müssen. An die Gitarre und die Mundharmonika und die Musik und das Gedicht, das er ihr am Piccadilly Circus zum Geschenk gemacht hatte und das ihr förmlich die Tränen in die Augen getrieben hatte.
    Wie sehr sie ihn doch vermisste.
    Gerade war sie sich dessen wieder bewusst gewesen, als sie plötzlich mitten in Prag gestanden hatte.
    Tja, nun war sie hier.
    »Sieht so aus«, stellte Tristan Marlowe nüchtern fest, » als seien wir allein.«
    »Gut so!« Ich trat auf den Platz hinaus und atmete die kalte Luft ein. Wie wenig sich doch verändert hatte seit damals. Die kunstvoll verzierten Fassaden, die Erker, spitzen Dächer und die schmalen Gassen, die zu allen Seiten in den großen Platz mündeten.
    Hier hatte alles begonnen.
    Als ich die Stadt der Schornsteine damals verlassen hatte, da war ich sicher gewesen, nie wieder dorthin zurückkehren zu können. Und während meiner langen Lehrzeit bei McDiarmid war ich an manchen Tagen sicher gewesen, Prag niemals wieder verlassen zu können. Doch dann packte ich meine Sachen und kehrte zurück nach England, das immer noch meine Heimat gewesen war, und die Straßen Londons hießen mich willkommen, als hätten sie mir verziehen, was ich einst getan hatte. Ja, nach der Rückkehr nach London war alles anders gewesen. Ich war anders gewesen. Ich war mit meinem alten Namen in Prag angekommen und hatte die Stadt als ein neuer Mensch verlassen. Und Prag war zu einem Schatten geworden, in dem alles lebte, was ich zu vergessen trachtete.
    »Was werden wir jetzt tun?«, fragte Emily, die sich nicht wohl zu fühlen schien. Mit fremden Städten hatte das Mädchen nun einmal keine guten Erfahrungen gemacht, und auch die Reiseberichte Eliza Hollands hatten ihr das Reisen nicht unbedingt schmackhaft gemacht.
    »Wir werden uns eine Bleibe suchen. Immerhin wissen wir nicht, wie lange wir uns in der Stadt aufhalten werden.«
    Nur äußerst wenige Passanten drückten sich zu dieser späten Nachtstunde in den verwinkelten Gassen und auf den großen Plätzen herum. Ein alter Nachtwächter schraubte neue Glühbirnen in die gusseisernen Lampen und summte dabei eine Melodie, die in Emilys Ohren fremd und wie der Nebel selbst klang. Ein Hund lief über den Platz, die Schnauze am Boden, auf der Suche nach den Abfällen des Tages.
    Emily fiel auf, dass die meisten Fassaden verspielte Verzierungen aufwiesen. Wie eine Märchenstadt, so kam ihr Prag auf den ersten Blick vor. Wie eine Stadt, in der die Zeit stehen geblieben war.
    »Dort hinüber«, gab ich die Richtung vor und ging schnellen Schrittes über den Platz.
    Emily folgte mir.
    »Warum haben Sie nach der Polizei Ausschau gehalten?«
    Tristan Marlowe sah das Mädchen an, als hätte es etwas durch und durch Dummes gefragt. »Wir sollten Scherereien mit der Obrigkeit vermeiden, meinen Sie nicht auch?«
    Da war sie wieder, diese kühle, herablassende Art!
    Emily hasste es, wenn er so mit ihr redete. Sie war kein kleines Mädchen mehr, und nach ihrem

Weitere Kostenlose Bücher