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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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als meine Mutter erkrankte, da war ich verzweifelt, wie ich es niemals zuvor gewesen war. Sie lag den ganzen Tag über in der Baracke, in der wir hausten, und konnte nicht einmal mehr sprechen. Sie hustete die ganze Zeit über und …« Er schüttelte den Kopf. Nur schleppend kamen die Worte: »Sie würde sterben, so viel war gewiss. Sie würde sterben und mich bei meinem Vater zurücklassen.« Die hellen Augen sahen Emily nicht mehr an. Nein, in eine ferne Zeit blickten sie. Sahen Southwark, wie es einst gewesen war. »Eines Abends lag sie da, und ich trat an ihr Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn. Ich spürte, wie sie zitterte. Ich spürte, wie sie die Tränen zurückhielt, weil sie mir den Mut nicht nehmen wollte. All das war da, und dann fühlte ich die Krankheit. Das, was ihr zu schaffen machte seit nunmehr drei Jahren. Ich konnte mit der bloßen Hand danach greifen, fest und unnachgiebig zerrte ich daran, und dann hielt ich das schwarze Ding, das an ihr gefressen hatte all die Zeit, in meiner Hand. Ich habe es nicht gesehen, aber es war da. Eindeutig. Ich habe es gefühlt.«
    Emily wollte nach seiner Hand greifen, doch unterließ sie die Geste im letzten Moment. Sie wollte den jungen Alchemisten jetzt nicht unterbrechen. Außerdem wusste sie nicht, wie er reagieren würde, wenn …
    »Meine Mutter sah mich an, und sie lächelte. Mein Gott, sie lächelte mit den Augen, wie ich sie es die vergangenen Jahre nicht mehr hatte tun sehen.«
    »Sie hatten sie geheilt?«
    »Ich wusste nicht, was ich getan hatte. Das Leben kehrte in ihren Körper zurück, und ich hielt in den Händen, was ihr Tod hätte sein sollen. Es war wie ein Schatten, kaum sichtbar, aber kalt.«
    Emily musste an ihre eigene Mutter denken, an die einst so wunderschöne Mia Manderley, und daran, wie sie auf dem sterilen Tisch in Moorgate vor ihr gelegen hatte. Sie dachte an die Nebel, die in den einst so wunderschönen Augen gestanden hatten.
    »Damals wusste ich noch nicht, dass man für alles einen Preis zu zahlen hat.«
    Emily spürte, wie schwer es ihm fiel, die Worte zu finden. »Sie müssen nicht darüber reden.«
    »Doch«, sagte er schnell. »Doch, das muss ich.«
    Dann schwieg er, und die Stille hallte in der vergessenen Kirche wider.
    »Als mein Vater nach Hause kam und Mutter wieder am Tisch sitzen sah, da zog er den Gürtel aus der Hose und begann, damit auf sie einzuschlagen. Er tobte und schrie.«
    »Aber warum?« An Mr. Meeks musste das Mädchen plötzlich denken, an den Rohrstock und die tobsüchtigen Wutausbrüche Reverend Dombeys. Die Welt war wirklich schlecht, doch konnte sie niemals schlechter sein als die Menschen, die in ihr lebten.
    »Er glaubte, dass sie sich die ganze Zeit über vor der Arbeit gedrückt und die Kranke gespielt hatte. Er war außer sich vor Zorn. Und betrunken dazu. Immer und immer wieder schlug er sie, und als ich dazwischenging, weil er gar nicht aufhörte, sie zu prügeln, da schlug er auch auf mich ein. Er packte mich, und als ich mich von ihm losreißen wollte und seinen Arm berührte, da spürte ich, dass etwas passierte.« Er rieb sich die Augen und seufzte. »Das, was in meiner Mutter gewesen war; das, was ich ihrem Körper entrissen hatte; die Krankheit …« Er stockte. »Ich hielt es in meiner Hand, und als ich den Arm meines Vaters anfasste, da kroch es in ihn hinein.« Nichts von der Überheblichkeit, die sich sonst in seinen Augen fand, war mehr dort. »Er hat keine Stunde mehr gelebt. Er begann Blut zu spucken und sank zu Boden und …«
    »Sie meinen …«
    »Er ist an der Krankheit gestorben, die meine Mutter befallen hatte.«
    Emily begann zu verstehen. »Das ist der Preis, den Sie zahlen müssen.« Die Welt, dachte sie, ist gierig und ungerecht.
    »Ich kann die Menschen heilen, doch ich muss das, was ich ihnen nehme, so schnell wie möglich an andere weitergeben. Die Krankheit muss woanders leben können. Nur so funktioniert es.«
    Emily starrte ihn an. Wie wenig man doch die Menschen, mit denen man zu tun hatte, kannte. »Sie tragen keine Schuld am Tod Ihres Vaters.«
    »Ich weiß. Dennoch …«
    »Man hat Sie verdächtigt.«
    Er rang um Fassung. »Meine Mutter hat es getan. Sie hat mich einen Mörder genannt. In die ganze Nachbarschaft hat sie es hinausgeschrien.« Die Stimme versagte ihm. »Einen Vatermörder hat sie mich geschimpft und den alten Herrn beweint.« Tristan ballte hilflos die Fäuste. »Diesen Dreckskerl, der sie eben noch geschlagen hatte. Der sie immer so mies

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