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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Samsa schrie laut auf, und das Ungeziefer in seinem Mund stieß einen schrillen, verzweifelten Ton aus wie dunkles Glas, das in Scherben zersplittert.
    Etwas Riesiges breitete seinen tiefdunklen Schatten wie einen Mantel über dem armen Schreibmaschinisten aus. Es roch nach Erde und Schmutz, und als ich zur Seite sah, da lag einer der beiden grauen Trickster bereits mit zerrissener Kehle auf dem Boden. Sein Körper zuckte noch kurz, und der zweite graue Trickster, der gerade noch in meinem Kopf gewesen war, wurde von einer Pranke zermalmt und in die Tiefe des Treppenhausschlundes geschleudert, wo ihn die Dunkelheit schluckte.
    Ich selbst war auf die Knie gesunken, als mein eigenes Bewusstsein wie eine Gewitterwolke in einer Sommernacht zurückgekehrt war und mir die Macht über meinen Körper wiedergegeben hatte.
    Ich schnappte nach Luft.
    Hustete.
    War durcheinander.
    Dann sah ich ihn.
    Einen Golem.
    Es war nur ein Klotz aus Erde und Schlamm, ohne Gesicht. Materie, die ein uralter Wille am Leben hielt. Reste von Müll und Schlamm konnte man in dem klobigen Körper erkennen, hier und da die Knochen von kleinen Tieren. Zweifelsohne war dieses Wesen aus dem Dreck des Moldau-Ufers erschaffen worden.
    »Wittgenstein!«
    Die Stimme, die mich ansprach, gehörte nicht dem Golem.
    Eine Hand wurde mir gereicht, und ich ergriff sie.
    »Lassen Sie uns von hier verschwinden«, schlug mein Retter vor.
    So tat ich wie geheißen und folgte einem alten Bekannten in die sternenlose Nacht hinaus, jene kalte, einsame Nacht, die jäh hereingebrochen war über die goldene Stadt der Lüge.
    Emily Laing und Tristan Marlowe erreichten die Altneusynagoge am späten Nachmittag. Keine zehn Minuten nachdem sie den Laden des Papiermundmannes verlassen hatten, waren sie durch ein altes Tor in die Josefstadt eingetreten, jenes uralte Viertel Prags, in dem einst die Juden bis zu ihrer Vertreibung gelebt hatten.
    Die schweren Mauern der Häuser hier schienen noch immer das Leid der Jahrhunderte in sich zu tragen. Manche der Häuser hatten Zeiten erlebt, in denen die Juden zu Sündenböcken und Opfern von Pogromen geworden waren. Aber es hatte auch gute Zeiten gegeben. Zeiten, in denen die Josefstadt unter dem Schutz der Krone gestanden hatte. Als die jüdische Kultur der Stadt zu kultureller und wirtschaftlicher Blüte verholfen hatte.
    Emily spürte die uralten Tage selbst im Vorübergehen. Sie traute sich nicht, die Steine zu berühren, aus Angst, sie könnte mit den Bildern, die sie streifen würden, nicht fertig werden.
    So folgte sie schweigsam dem jungen Alchemisten, der sie wachsamer denn je durch die Straßen und immer enger und kleiner werdenden Gassen führte. Hier sah es fast so aus, als berührten sich die Dächer der Häuser, hoch über den Gassen und Wegen. Kleine Fenster gab es in den Häusern, die versteckt und verhuscht wirkten und jetzt, da Schnee auf ihnen lag, etwas märchenhaft Entrücktes an sich hatten.
    Emily fror.
    Nicht wegen der Kälte, an die Kälte hatte sie sich gewöhnt.
    »Ich spüre nichts mehr«, gestand sie Tristan Marlowe.
    »Was meinen Sie?«
    »Ich habe in Gedanken nach Wittgenstein gesucht.« Das war etwas, das sie konnte. Die Gedanken auf Reisen zu schicken und nach einem fremden Bewusstsein zu suchen war mittlerweile eine ihrer leichtesten Übungen geworden. Anfangs hatte sie sich davor gefürchtet. Hatte sich selbst als eine Diebin gesehen, die in die fremden Häuser der Menschen eindringt und herumschnüffelt. Doch hatte sie damit umzugehen gelernt.
    Dennoch hielt sie sich meist zurück …
    Auch wenn sie in Tristan Marlowes Gedanken zu gern einmal hineingeschaut hätte.
    Er war so seltsam.
    Unnahbar.
    Abweisend.
    Obwohl er manchmal so zutraulich und besorgt sein konnte.
    »Vertrauen Sie mir besser nicht«, hatte er ihr geraten.
    Emily fragte sich, ob sie diesen Rat beherzigen sollte, oder ob es Tristans Art war zu sagen, dass er lieber allein sein wollte. Dass er sich vor Nähe fürchtete. So wie Adam, am Anfang ihrer Beziehung.
    Emily vermisste Adam Stewart noch immer. Während sie im Schneegestöber durch Prag lief, war er in der Seine-Metropole.
    Paris.
    Emily hatte die Stadt nie gemocht. Nein, niemals würde sie dort leben. War sie deswegen selbstsüchtig? Hatte sie sich keine Mühe gegeben, Adam zu verstehen?
    Er wollte ein Musiker sein.
    Nein, er war schon ein Musiker. Aber er wollte ein Musiker sein, der Geld für seine Musik bekommt. Er war ein Künstler, wie es ihr Vater einst gewesen war. Ja, das

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