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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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war Adam. Und Emily verstand, dass sich manche Geschichten zu wiederholen schienen. Das Mädchen und der Bohemien. Richard Swiveller, der Mia Manderley geliebt hatte, wild romantisch und wie von Sinnen und gegen den Willen der großen Häuser. Der Mia mehrmals heimlich getroffen hatte, und das selbst, nachdem sie Lord Mushroom zum Mann hatte nehmen müssen.
    Emily fühlte sich plötzlich unendlich einsam.
    Sie musste an den Ton denken, den sie auf der alten Geige gespielt hatte. Vorhin, im Laden des Papiermundmannes. Die leise Melodie, die in dem Ton gelegen hatte, wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Vielleicht, weil es die Melodie war, die tief in ihr drinnen lebte. Die dort sang, wo die Verzweiflung wohnte.
    »Was haben Sie?«
    Sie sah den jungen Alchemisten erschrocken an, und in eben diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie sich von ihm umarmen lassen würde, wenn … er es täte.
    Doch tat er es nicht.
    Marlowe war nicht in sie verliebt. Und das war gut so.
    »Es ist nichts«, log sie.
    Nein, sie vermisste Adam, und das war es, woran sie denken musste. Adam Stewart sollte sie jetzt umarmen. Adam Stewart sollte bei ihr sein, wenn sie Hilfe brauchte. Adam Stewart sollte ein Lied nur für sie komponieren, nur für Emily Laing aus Rotherhithe, und es für sie singen, wenn sie allein waren. Sie musste an das Gedicht denken, das er ihr einmal geschrieben hatte. Und vorgetragen. Unter dem tanzenden Engel der Barmherzigkeit am Piccadilly Circus, der ihnen zugezwinkert hatte.
    Ach, all diese Bilder.
    »Ich musste an meine Eltern denken«, sagte sie zu Tristan Marlowe. »Daran, was damals geschehen ist. An …« Paul? Warum musste sie ausgerechnet jetzt an Paul denken? Den Jungen aus dem Waisenhaus? Der Gedanke hatte sie förmlich angesprungen, irgendwie unverhofft, von ganz weit her. »An …«
    »Adam Stewart«, sprach Tristan Marlowe es aus.
    Sie gab es zu.
    Was hätte sie auch sonst tun sollen?
    »Sie lieben ihn, stimmt’s?!«
    »Ja.«
    Er stapfte weiter durch den Schnee.
    Der Gehstock klopfte auf dem Kopfsteinpflaster seinen unruhigen Takt.
    »Sie können sich glücklich schätzen, jemanden wie Adam Stewart zu kennen«, bemerkte Tristan Marlowe mit ruhiger Stimme. »Aber … er … ist ein Narr. Er müsste jetzt hier bei Ihnen sein.« Er schüttelte den Kopf. »Nun ja, so ist das eben im Leben. Man weiß selten das zu schätzen, was man hat. Stattdessen sehnt man andere Dinge herbei, und erst wenn man etwas verliert, weiß man, wie viel es einem doch bedeutet hat.« Es klang so bitter, wie er das sagte. So enttäuscht.
    »Deswegen«, dachte Emily laut, »sind die meisten Menschen unglücklich.«
    Zu viele Menschen, das hatte sie in einer ihrer ersten Lektionen gelernt, lebten gar nicht im Augenblick. Sie lebten in der wunderbaren Zukunft und der unvergleichlichen Vergangenheit, doch niemals in der lebendigen Gegenwart. Sie konnten das Leben niemals spüren, weil sie ihm die Tür nicht zu öffnen vermochten. Sie fürchteten sich vor dem, was das Leben ihnen bringen könnte, und trauerten dem hinterher, was einst gewesen war. Und vor lauter Furcht verpassten sie es zu leben.
    »Sind Sie glücklich?«, fragte Tristan Marlowe.
    »Na, das ist aber eine neugierige Frage.«
    Er wirkte ertappt. »Sie müssen sie nicht beantworten.«
    Das Mädchen zog sich die Mütze und den Schal zurecht. »Ich bin glücklicher als andere. Und andere sind glücklicher, als ich es bin.« Sie dachte an Eliza und Lucifer. An all die Herzen, die zerbrechen, weil sie nicht mehr zueinander finden. So traurig war dies alles, dass selbst ihre Augen zu Eis zu gefrieren schienen. »Es ist eine Frage, die … ich …« Sie stockte. »Ja, doch, ich war glücklich.« Sie blieb stehen, nachdenklich und überrascht, schaute sich kurz wachsam um. Es waren keine grauen Männer in den Gassen zu sehen.
    Sie musste ihn jetzt fragen.
    »Tristan, warum führen wir dieses Gespräch?«
    Der junge Alchemist drehte sich zu seiner Begleiterin um.
    »Was meinen Sie?«
    »Sie wissen, was ich meine.«
    »Nein, tu ich nicht.«
    Sie trat einen Schritt auf ihn zu, und instinktiv wich er einen Schritt zurück. Als ihm auffiel, dass es ihr aufgefallen war, wirkte er wieder so unnahbar und arrogant wie so oft.
    »Sie …« Emily blieb dort stehen, wo sie stand.
    Beendete den Satz nicht.
    Weil …
    Tristan Marlowe ihre beiden Hände ergriff.
    Er tat es so schnell, dass sie kaum etwas erwidern konnte. Ganz nah war er ihr, schaute ihr für den Bruchteil eines

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