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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Hillel, »ist der Ort, den Ihr aufsuchen müsst. Und zugleich ist es der Ort, vor dem ich Euch warnen muss. Es ist eine Welt der Engel, die Ihr betreten wollt.«
    »Ich muss dorthin.«
    Der Rabbi nahm dies zur Kenntnis. »Es gibt einen geheimen Weg, der dorthin führt.«
    »Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir diesen Weg zeigen könntet.«
    »Das werde ich«, sagte der Rabbi, »das werde ich.« Er hob den Finger. »Doch vorher solltet Ihr uns noch ein wenig Gesellschaft leisten.«
    Dorian Steerforth erhob sich von seinem Platz und ging zu einer Tür.
    »Ihr seht müde aus, Alchemist«, stellte der Rabbi fest. »Ein wenig Ruhe wird Euch gut tun.«
    Der alte Gelehrte schlurfte vor mir her und winkte mich durch eine Tür, die aus dem Gebetsraum in eine Kammer führte, die gemütlich und klein war. Ein Gasherd stand in einer Ecke, darüber ein Regal mit Gewürzen. Nur wenige Bilder schmückten die Wände. Ein siebenarmiger Leuchter stand dezent auf einem Schrank und erinnerte mich an die Menora. Ich fragte mich, ob ich mich danach erkundigen sollte, unterließ es aber für den Augenblick. Die wirren Gedanken in meinem Kopf mussten erst einmal geordnet werden. Zu viel war in den letzten Tagen geschehen, und die Welt, die ich kannte, schien mir wie Sand durch die Finger zu rinnen, immer und immer weiter, sodass ich mich zu fragen begann, welcher Illusion mein Leben all die Jahre über gefolgt war.
    Dann brachte Dorian Steerforth Tee und Gebäck auf einem Tablett und stellte es auf den hölzernen Tisch, der den Raum beherrschte. »Es tut mir Leid, was damals geschehen ist«, sagte er erneut. »Ich kann es nicht ungeschehen machen, und ich weiß, dass ich alles mit Vorsatz getan habe. Ich werde Sie zum Schloss begleiten und mich vielleicht als nützlich erweisen.« Er schenkte mir Tee ein. »Es ist nicht das Leben, das ich mir ausgesucht habe. Rabbi Löw hat es für mich ausgesucht. Und am Ende sind wir doch alle nur das, was wir sind.«
    »Wir leben in einer wankelmütigen Zeit«, gab ich zur Antwort. »Misstrauen ist die Saat, die am schnellsten aufgeht in diesen Tagen. Verzeihen Sie mir also meine Distanz.« Ich nahm die Tasse Tee und nippte daran. Es tat gut, endlich wieder Tee trinken zu können. Auf manche Dinge, dachte ich, sollte man einfach nicht verzichten. »Danke für den Tee«, sagte ich. Lächelte so kurz, dass man es für eine Grimasse hätte halten können.
    Dorian Steerforth nickte mir zu. Er sah trotz der greisen Haare sehr jung aus, ein Aphrodit, den ein furchtsamer Rabbi einst erschaffen hatte. Denn das war, wie er mir nun erklärte, das Einzige gewesen, was Rabbi Löw nicht berücksichtigt hatte. »Der Jüngling, dessen Leichnam der Rabbi für sein Experiment benutzt hat, war ein Aphrodit gewesen.« Ein Wesen, das die Herzen anderer für sich zu gewinnen vermochte.
    Erneut nippte ich an dem Kräutertee.
    Rabbi Hillel gesellte sich zu uns. »Ihr werdet gleich Ruhe finden«, sagte er mit einer Stimme, die so ruhig war, dass sie einen schon fast wieder ungeduldig machte.
    »Was meint Ihr?« Einen leichten Schwindel spürte ich.
    Starrte auf den Tee.
    Kräutertee!
    Ein starker Geruch, der andere Gerüche überdeckte.
    »Was habt Ihr denn getan?« Ich wollte aufstehen, spürte aber die Müdigkeit, die wie eine Welle über mich hinwegrollte.
    »Ihr wärt augenblicklich aufgebrochen«, sagte der Rabbi und legte mir eine Hand auf die Schulter, um mich sanft am Aufstehen zu hindern. »Das wäre nicht gut gewesen.« Seine alten Augen funkelten wissend. »Manchmal muss man die Menschen zu ihrem Glück zwingen.«
    »Sie werden einige Stunden schlafen, Wittgenstein«, fügte Steerforth hinzu.
    »Was haben Sie mit mir vor?« Der Raum begann sich zu drehen.
    »Gar nichts«, beschwichtigte mich der Rabbi. »Ihr sollt Euch ausruhen, das ist alles. Der Weg zum Schloss ist beschwerlich, und man braucht alle Kräfte, die man hat, um ihn beschreiten zu können.«
    Misstrauisch und wütend starrte ich die beiden an. Ich glaubte nicht daran, dass sie es ehrlich mit mir meinten. Jeder führte doch etwas anderes im Schilde, alle verfolgten sie nur ihre eigenen Ziele. Ich war in der Stadt der Mala’ak ha-Mawet angekommen, und es gab so viel zu tun. Emily und Marlowe irrten durch diese verdammte Stadt. Miss Holland, Aurora Fitzrovia und Neil Trent suchten im Limbus nach dem Lichtlord.
    Die Welt wurde langsamer, wie auch die Gedanken, die in der Luft stehen zu bleiben schienen. Mein Kopf sank langsam auf die Tischplatte,

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