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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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uns hatte zukommen lassen, waren zweifelsohne dürftig und wenig hilfreich. Über den Botenjungen wussten wir nur, dass er diverse Opiate aus Kew Gardens Hall hatte überbringen sollen. »Von dort beziehen wir seit Jahren schon die seltenen Opiate, mit denen sich selbst die schwerwiegenden Krankheiten behandeln lassen.« Die Nebel hatte der arme Junge jedenfalls in sich getragen, und es lag nun an uns, herauszufinden, wie sie ihn hatten befallen können.
    »Ich bin noch nie dort gewesen.«
    »In Kew Gardens Hall?« So nannte man den Ort in der uralten Metropole, zu dem wir unterwegs waren.
    »Ich war immer nur in Kew Gardens, aber nie in der Wildnis.«
    Die Kew Gardens sind ein botanischer Garten, gelegen auf dem Gebiet von Richmond im Südwesten Londons. Mit all den Wanderwegen, Teichen und Tempeln und der fünfzig Meter hohen chinesischen Pagode sind die Kew Gardens ein ideales Ausflugsziel, nicht zuletzt für jene, die sich der Kunst der Alchemie verschrieben haben. Man kann dort durch Wälder aus Ingwerstauden, Farnpalmen und Bambuspflanzen wandern und sich in den duftenden Orchideensammlungen verlaufen.
    Emily war oft dorthin gefahren, um Besorgungen zu machen.
    »Kew Gardens Hall«, erklärte ich ihr, »ist anders.«
    Viele Orte, die sich in der uralten Metropole befanden, das wusste Emily, waren anders. Anders als die Örtlichkeiten im London darüber, anders als alles, was sie vorher gekannt hatte.
    Die U-Bahn-Station Kew Gardens ließen wir schnell hinter uns.
    Während die Menschenmassen nach oben strömten, um sich im Palm House oder Evolution House zu wärmen, betraten wir die uralte Metropole durch einen Zugang, der versteckt hinter einem Gewirr aus kleinen Drachenbäumen lag. Die warmen Winde, die aus den U-Bahn-Schächten strömten, ließen die Pflanzen auch hier unten prächtig gedeihen. Wir mussten nur einige der Blätter beiseite schieben und uns durch den Spalt hindurchzwängen.
    Schon waren wir in einem nahezu kreisrunden Korridor, der schräg abwärts führte. Das Mauerwerk war voller Salzblüten, die tiefe Löcher in den einstmals roten Stein gefressen hatten.
    Selbst nach all den Jahren, in denen die uralte Metropole schon zu einer Selbstverständlichkeit für Emily geworden war, wunderte sie sich immer noch darüber, dass die Menschen ihr so wenig Beachtung schenkten. Immer konnte man ungehindert die uralte Metropole betreten, und niemand sah etwas Ungewöhnliches darin, dass wir hinter Fahrplananzeigen, rostigen Türen mit High-Voltage-Zeichen oder gekachelten Verschlägen verschwanden. Manchmal musste man sogar auf die Gleise springen und ein wenig in den Tunnel hineingehen, um ein Portal zu erreichen, und selbst das störte nicht einen einzigen der Passanten.
    »Die meisten Menschen«, hatte ich ihr schon damals eingeschärft, »sehen wenig mehr als sich selbst.«
    Emily Laing, die der anderen Menschen Blicke auf ihr Mondsteinauge immer als unangenehm empfunden hatte, lernte mit der Zeit, wie man nahezu unsichtbar werden konnte für seine Mitmenschen. Dunkle Kleidung und eine bestimmte Art, sich zu bewegen, das war der Schlüssel. Nicht einmal Lady Mina zog Blicke auf sich, wenn sie auf des Mädchens Schulter saß.
    »Die Menschen sehen einander nur selten in die Augen«, war ihr aufgefallen.
    »Deshalb«, hatte ich ihr geantwortet, »liegt die uralte Metropole für viele noch immer im Verborgenen.«
    Dabei war es doch eine riesige Stadt unter der Stadt. Eine Ansammlung von Grafschaften, deren Geographie nur teilweise erforscht war. Noch immer gab es Regionen, von denen nur Geschichten kündeten. Dinge, die man sich zuflüsterte. Orte, die von schattenhaften Geheimnissen umwoben waren. Wege, die nicht einmal die Tunnelstreicher kannten.
    Gegenden, die schon lange in Verruf geraten waren.
    Kew Gardens Hall war eine davon.
    Emily hatte bisher nur vage Gerüchte über diesen Ort vernommen. Exotische Pflanzen sollten die Herrschaft dort unten übernommen haben. Eine nur schwer durchdringbare Wildnis würde man in den Höhlen tief unterhalb von Richmond vorfinden, eine Region, in der sich selbst erfahrene Forscher verirren konnten. Seltsame Tiere sollte es dort geben, giftiges Gezücht und Menschen, die nicht mehr ganz Mensch seien.
    »Was, denken Sie, hat der Botenjunge dort unten gemacht?«
    »Er hat Dinge besorgt, die man nur in Kew Gardens Hall bekommt.«
    Dr. Dariusz hatte uns eine Photographie des toten Jungen mitgegeben. Auf einem kalten Metalltisch hatte er gelegen, bis hinauf zum Hals

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