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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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mit einem weißen Tuch bedeckt.
    »Sie könnten es auch bei dem Jungen versuchen«, hatte der Doktor dem Mädchen vorgeschlagen.
    Doch Emily hatte entschieden abgelehnt.
    »Sie sind eine Trickster.«
    »Ich werde es nicht tun.«
    Eine Toderfahrung am Tag reichte ihr voll und ganz. Außerdem hatte sie genug gesehen, als sie ihre Mutter berührt hatte.
    »Sie …«
    Ich fiel ihm ins Wort. »Sie will es nicht tun!«
    Punktum.
    Der Doktor hatte daraufhin nichts mehr diesbezüglich gefordert. Dafür hatte er uns die Photographie überlassen.
    »Er wirkte besorgt«, stellte Emily fest.
    Wir gingen in einem der stillgelegten Abwassertunnel von Richmond nach unten. Die Decke des Tunnels wurde niedriger, und ich musste darauf achten, mir nicht den Kopf zu stoßen. »Der Doktor unterhält gute Kontakte zu Manderley Manor.« Nachdenklich erinnerte ich mich der Dinge, die wir vor zwei Jahren erfahren hatten. »Und auch Mushroom Manor ist ihm nicht unfreundlich gesonnen.« Blieb demnach noch die alles entscheidende Frage: »Wo also liegt seine Loyalität, Miss Laing?«
    »Fragen Sie nicht mich.«
    »Tu ich auch nicht wirklich.«
    Die Luft, die uns in die Gesichter blies, wurde schwül. Tropisch warm.
    »Sind wir gleich da?«
    »Ist das nicht die Frage, die Kinder zu stellen pflegen?«
    »Bin ich etwa ein Kind?«
    Von der Seite warf ich ihr einen Blick zu, den sie zur Genüge kannte. »Für mich, Miss Laing, werden Sie das immer sein.«
    Emily musste lächeln.
    Dann dachte sie an die Whitehall Schule und den Grund, weswegen sie die altehrwürdige Lehranstalt verlassen hatte.
    »Warum haben Sie mich dazu bewogen, die Schule zu verlassen?«
    »Meinen Sie etwa, es wäre meine Aufgabe gewesen, Sie zum Bleiben zu bewegen?«
    »Könnten Sie aufhören, jede meiner Fragen mit einer anderen Frage zu beantworten?«
    Dieses Kind!
    »Es waren persönliche Gründe.« Mehr sagte ich dazu nicht. Sie kannte meine Gründe. Zumindest diejenigen, die ich ihr damals vor Augen gehalten hatte.
    »Sie könnten mir langsam die Wahrheit erzählen.«
    Irgendwie schien sie zu spüren, dass ihr Schicksal dem meinen gar nicht so unähnlich zu sein schien.
    »Viele Schüler mit besonderen Talenten«, murmelte ich missmutig, »haben in den vergangenen Jahren die Whitehall Schule besucht. Sie, Emily, sind eine Trickster, und Trickster sind das, wonach diese Schule sucht.« Hatten wir nicht zur Genüge über dieses Thema geredet?
    »Ja, ich weiß, Wittgenstein. Ich bin eine Trickster – und Trickster sollen geschult werden, um ihre Talente in den Dienst der uralten Metropole zu stellen.« Sie wusste, was ihr abverlangt worden wäre, hätte sie weiterhin das altehrwürdige Institut in Westminster besucht. Mit Grauen erinnerte sich Emily an die wenigen Momente, in denen sie gezwungen gewesen war, ihre Gabe anzuwenden. Damals hatte sie Adam gestanden, was es mit ihr auf sich hatte. Dass sie in die Gedanken anderer Menschen eindringen konnte wie Einbrecher in verschlossene Häuser. Ja, sie war dazu in der Lage, die Schlösser aufzubrechen und sich die Blicke fremder Menschen zu Eigen zu machen. Sogar der Erinnerungen Verstorbener konnte sie sich bemächtigen, was weniger angenehm war, spürte sie dann doch genau das, was der Sterbende im Augenblick des Todes empfunden hatte.
    »Aber das«, hatte sie Adam ganz leise flüsternd gestanden, »ist nur ein Teil dessen, was ich kann.« Manchmal schämte sie sich dafür, diese Dinge tun zu können. Ein fremder Verstand war für sie wie ein Raum, den sie betreten konnte. »Aber ich kann diesen Raum auch durcheinander bringen, sodass niemand sich mehr darin zurechtfindet.« Das war es, was man von ihr verlangen würde, früher oder später. Davor hatte ich sie gewarnt, weil mir Ähnliches widerfahren war, einst.
    »Du machst dir zu viele Gedanken«, hatte Adam sie zu beruhigen versucht.
    »Nein, tu ich nicht.«
    Dann hatte sie ihm von den Menschen berichtet, die sie bedroht hatten. Von dem Restefresser und den Schülern, die sich über sie lustig gemacht und sie in die Enge getrieben hatten. Sie erinnerte sich an das Blut, das ihnen aus den Nasen geronnen war, als sie kraft ihrer Gedanken zugeschlagen hatte. Sie erinnerte sich an die Leiber, die sich in Krämpfen auf dem Boden gekrümmt hatten, weil sie, Emily Laing, ihnen das angetan hatte.
    »Ich will das nicht tun«, hatte sie Adam gestanden.
    »Du hast dich nur verteidigt.«
    »Sie werden es von mir verlangen.«
    Wieder und wieder würden sie das tun.
    Miss Monflathers

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