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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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wohin man tritt. Den Pfad, der gekennzeichnet ist, darf man hier unten nicht verlassen.
    Emily erkannte die Markierungen an den Steinen, die wie Runen aussahen.
    Unvorsichtige Wanderer, die dies nicht wissen, laufen Gefahr, in eine der vielen Pestgruben zu geraten, die sich überall in diesen Breiten befinden können.
    »Überall?«
    »Über uns, unter uns.« Ich klopfte gegen die Wand. »Hinter der Mauer.«
    Jedes Kind, sagte Mina, kennt die Geschichten.
    »Geschichten?«
    Ja, Geschichten von der dunklen Lady Pasteurella Pestis, die nach London kam, als Frankreich ihr zu langweilig wurde. Die Rättin grinste. Geschichten, die man den kleinen Ratten erzählt, damit sie sich fürchten und nicht in jedes Loch hineinkriechen, das nach weggeworfenem Essen riecht.
    »Bitte, Mina«, forderte ich meine Stiefschwester auf, »vertreib uns die Zeit mit der Geschichte.« Durch den monoton geradlinig verlaufenden Tunnel zu gehen war wirklich sehr ermüdend.
    Und Lady Mina, die froh war, etwas zur Ablenkung beitragen zu können, begann zu erzählen. Die Lady Pasteurella Pestis besuchte London zum ersten Mal im Jahre 664. Sie sah sich ein wenig in der Stadt um, wandelte durch die Straßen und kehrte dann nach Hause zurück.
    »Nach Hause?«
    Frankreich, sagte die Rättin. Damals hatte sie vornehmlich in der Gegend um Southwark gelebt, doch als sie fast sechshundert Jahre später erneut an die Themse kam, da sah sie sich überall in der Stadt nach einer Bleibe um. Doch die Menschen, die oftmals dem Bösen eine Gestalt verleihen müssen, um es richtig hassen zu können, gaben den Ratten die Schuld. Nachdenklich wirkte Lady Mina, als sie erklärte: Viele von uns wurden getötet. Man erschlug die Ratten auf offener Straße und warf die Toten auf Scheiterhaufen. Heißes Öl schütteten die Menschen in die Löcher, in denen sie die Nester mit den Kindern vermuteten, und zündeten alles an.
    »Ein dunkles Kapitel in der Historie der Nager.«
    Emily streichelte dem Tier betroffen über die Stirn.
    Lady Mina senkte den Kopf. Später erfuhren wir, dass einige von uns einen Pakt mit der Lady Pasteurella Pestis geschlossen hatten. Abtrünnige Ratten, die, so erzählte man es sich in den Gassen, einem bösen, dunklen Rattengott aus der tiefsten Tiefe dienten, halfen der Lady Pasteurella Pestis, die Stadt zu erkunden. Doch als man die Ratten meuchelte und metzelte, da verschwand auch die schwarze Lady aus der Stadt.
    »Aber sie kehrte wieder zurück.«
    Du sagst es. Lady Mina ringelte nervös ihren Schwanz. Im Jahre 1664 kam die schwarze Lady zum letzten Mal nach London. Bedeutungsschwanger betonte die Rättin: Und blieb. Für mehr als ein Jahr. Sie wohnte in einer Herberge drüben in Stepney, und von dort aus unternahm sie lange Spaziergänge durch die Stadt. Die Menschen, die ihren Atem spürten, wurden alsbald von der Krankheit befallen, für die es kein Heilmittel gab. Dockarbeiter, Kaufleute, Laufburschen, Dienstmägde. Alle wurden gleichermaßen befallen und starben. Und da die Lady Pasteurella Pestis eine Lady war und der Adel sich mit seinesgleichen zu umgeben weiß, verkehrte der schwarze Gast auch in den Häusern der feinen Gesellschaft.
    »Und forderte seine Opfer.«
    Die Menschen schlossen sich in ihre Häuser ein und starben dort leise vor sich hin. Traurige Berichte wurden veröffentlicht, lange Namenslisten derer, die Bekanntschaft mit der Lady gemacht hatten. Bills of Mortality. Wieder hassten die Menschen die Ratten und schlugen sie tot, wo immer sie ihrer habhaft werden konnten. Lady Mina schüttelte bedauernd das kleine Köpfchen. Viele von uns mussten sterben, weil einige mit der Lady gemeinsame Sache machten. Die Lage wurde immer schlimmer. Ein Jahr nach der Ankunft der schwarzen Lady sprachen die Menschen von mehr als achtzigtausend Toten. Die Friedhöfe Londons waren hoffnungslos überfüllt, das waren sie Ende 1664 schon gewesen.
    »So beschlossen Regentin und Senat, riesige Gruben ausheben zu lassen, in die man die Opfer der Krankheit schnellstmöglich hineinwarf.« Als ich bemerkte, wie Emily bei dieser Umschreibung zusammenzuckte, fügte ich an: »Von einer Beisetzung zu sprechen würde den Tatsachen nicht gerecht werden.« Das Mädchen wusste, wie viel Worte verschleiern konnten. »Mit Karren schaffte man die Toten zu den Gruben und warf sie hinein. Priester segneten mehrmals am Tag all jene, die neu hinzugekommen waren.«
    »Das ist schrecklich.«
    Es ist so geschehen, sagte Lady Mina.
    »Und diese

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