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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Wells.
    Die tätowierten Engel, die überall waren und von mächtigen Schwingen in den Lüften gehalten wurden, betrachteten neugierig die frisch eingetroffenen Gäste. Flink wie Insekten krochen manche von ihnen auf allen vieren über die Außenseiten der Kokons und reckten die Köpfe.
    Dann stand mit einem Mal ein prächtiger Engel vor ihnen.
    »Ich«, sagte das Geschöpf, »bin Lord Uriel.«
    Nach brennendem Heu roch der Atem des Wesens.
    In der Stirn des Engels erkannte Aurora das gläserne Auge, das einst Emily gehört hatte.
    »Was ist Euer Anliegen?«
    Tristan Marlowe stellte sich und seine Begleiterin vor.
    »Miss Laing, Eure Freundin, ist schon einmal unser Gast gewesen.« Wie ein Lagerfeuer, so knisterte die Stimme des Engels.
    Aurora, die jenen Ort aus den Erzählungen ihrer Freundin kannte, fürchtete sich, denn damals, als Emily hinabgestiegen war zum Oxford Circus, da war Lord Uriel ein fordernder, feilschender Engel gewesen, dessen Hilfe einen Preis gehabt hatte, den Emily mehr oder weniger zu zahlen gezwungen worden war. Ihr Glasauge hatte sie dem Engel vermacht, und die Tatsache, dass es noch immer in der Stirn des Wesens prangte, sprach Bände.
    »London«, begann Tristan Marlowe, »wird erneut von Unruhen erschüttert.«
    Er berichtete von dem, was sie in Erfahrung hatten bringen können. Von den Nebeln und der Dürre und den sieben Schwestern in ihrem griechischen Restaurant.
    Und am Ende von dem Namen.
    »Mala’ak ha-Mawet.«
    Die Tätowierungen in Lord Uriels Gesicht nahmen eine andere Form an, als er den Namen hörte. Sie zerflossen und bildeten neue Linien, malten eine andere Geschichte auf die bleiche Haut des alten Geschöpfes. Die anderen Engel waren näher gekommen, als Marlowe den Namen genannt hatte. Alle wirkten besorgt.
    »Ihr glaubt, dass die Mala’ak ha-Mawet in London weilen?«
    »Um ehrlich zu sein, wissen wir nicht einmal genau, mit wem wir es hier zu tun haben.«
    »Wir glauben, dass es eine Art Engel ist.«
    »Die Mala’ak ha-Mawet«, verbesserte sie Lord Uriel, »sind viele. Niemals treten sie allein auf. Das haben sie früher nicht getan und werden es auch heute nicht tun.«
    »Wer sind sie?« Die Disharmonie in der Engelsstimme beunruhigte Tristan Marlowe.
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    »Bitte helft uns.« Aurora trat langsam vor und verneigte sich höflich vor der mächtigen Gestalt, die den Himmel hatte brennen sehen. »Wir müssen erfahren, was hier geschieht.«
    Lord Uriel sah auf das Mädchen hinab. »Ihr seid recht pathetisch, junge Lady.«
    Verunsichert blickte Aurora auf.
    »Die Zeiten haben sich geändert.« Die Flammen züngelten in seinen Augen. »Ich habe mich geändert.« Er breitete die Arme aus, und seine nächsten Worte umarmten den gesamten Himmel. »Wir alle haben uns verändert.« Mit dem, was ein Lächeln sein mochte, berührte er das Glasauge in seiner Stirn.
    Die anderen Urieliten nickten zustimmend.
    Sie bewegten ihre Köpfe, wie Vögel es tun. Ruckartig und schnell.
    »So lasst uns ein Palaver abhalten.« Lord Uriel faltete die Schwingen und hockte sich auf den Boden, wie ein Raubvogel es wohl tun würde. »Denn die Geschichte, von der ich Euch berichten werde, ist uralt.« Augenzwinkernd fügte er hinzu: »Es geht um alte Bekannte, könnte man sagen. Ja, darum geht es wohl am Ende.«
    Tristan Marlowe und Aurora Fitzrovia nahmen am Boden im Schneidersitz Platz. Etwas, das wie goldgelbes Laub aussah, bedeckte den hellen, feinen Sand, der aufgewirbelt wurde, sobald ein Engel mit den Flügeln schlug.
    Und Lord Uriel, dessen Worte ein Lied waren, sprach zu ihnen: »Einst herrschte der allmächtige Träumer über die Welt, die er sich erträumt hatte, um nicht allein sein zu müssen. Die Engel waren ihm untertan und lebten im Himmel, der in jenen Zeiten noch der Himmel des Träumers war.
    Es gab ein Gesetz, das des Träumers Gesetz war, und es gab eine Kaste von Engeln, die des Träumers Gesetz mit flammenden Schwertern hüteten. Zu Beginn, müsst Ihr wissen, waren die Engel Brüder und Schwestern, doch dann erfuhr einer von uns die Liebe und mit ihr die Furcht davor, jene Liebe verlieren zu können:
    Lucifer, der unser Bruder im Lichte war, erkannte, dass er ein Herz hatte, und dieses Herz, das schenkte er Lilith, der Schönen vom Roten Meer. Er erfuhr die Gewissheit, dass sein Herz und er selbst verdorren würden, wäre Lilith nicht an seiner Seite.
    Er verspürte eine Angst, die er vorher nicht gekannt hatte. Die kein Engel je gekannt hatte.

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