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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Lycidas musste das Mädchen denken und an den Lebensbaum, der sich tief in der Hölle von der Unschuld vieler Kinder genährt hatte. Meine Güte, ganze sechs Jahre lagen diese Ereignisse nun schon zurück. »Wäre es möglich, dass ein Engel ein Bündnis mit dem Nyx eingeht?«
    Die Tätowierungen in Lord Uriels Gesicht nahmen beunruhigende Formen an.
    »Es wäre …« Der mächtige Engel sah in die Runde seiner Brüder, in deren Augen die Flammen unruhig loderten. »Ihr meint, dass Gabriel seine Kraft vom Nyx bezieht und ihm dafür gefällig ist?«
    Aurora nickte.
    »Aber der Nyx ist tot«, gab Tristan Marlowe zu bedenken.
    Das Mädchen, das sich der Worte des Lichtlords erinnerte, sagte nur: »Nichts stirbt jemals für immer.«
    Lord Uriel schwieg.
    Der Nyx nährte sich von den niederen Gefühlen der Menschen, die wie Unrat in den Boden sickern. Allzeit hungrig und gierig, war dieses einstmals dem Träumer gleiche Wesen seit Jahrhunderten darauf bedacht gewesen, Zwist und Unruhe zu säen in der Stadt der Schornsteine, bis der Lichtlord es vor nahezu sechs Jahren besiegt hatte.
    Doch was wäre, wenn noch immer Leben im Nyx existierte?
    »Gabriel war schon ein höchst wankelmütiger Engel«, erinnerte sich Lord Uriel. »Niemand kann sagen, wie er sich verhalten würde, wäre er mitten unter uns. In London.«
    Auroras Gedanken rasten. Nur Engel waren dazu fähig, die Tore der Hölle zu öffnen. Und hatte nicht jemand die Nebel und die Dürre heraufbeschworen und nach London zu kommen gebeten? »Was wäre«, dachte Aurora laut, »wenn Lord Gabriel die Häuser nur gegeneinander ausspielen wollte?«
    Tristan Marlowe wurde noch bleicher, als er es ohnehin schon war. »Sie meinen, dass er die Nebel in den Dienst Mushroom Manors stellt und die Dürre in den Dienst der Familie Manderley?«
    »Ist nur so eine Idee.«
    »Aber eine Idee, in der das Feuer der Wahrheit lodern könnte.« Lord Uriels Krallen zeichneten Muster in den Sand zu seinen Füßen. »Einer Wahrheit, die London in Flammen aufgehen lassen könnte.«
    »Gibt es Hinweise darauf, dass Manderley Manor etwas mit der Verwüstung von Kew Gardens Hall zu tun hat?«
    Lord Uriel schüttelte das Haupt. »Nein, Master Marlowe, aber es ist das, was Lord Mushroom annehmen wird.«
    Tristan Marlowe betrachtete die geschwungenen Linien, die der Engel in den Sand gezeichnet hatte. Linien, die einander umkreisten, Berührungen antäuschten und sich doch niemals kreuzten. »Von unseren nächsten Schritten könnte das Wohl der uralten Metropole abhängen«, flüsterte er, und als er eine Linie in die Zeichnung des Engels hineinmalte, da zitterten seine Hände. »Manchmal erkennt man das Muster nicht, obwohl man direkt davor steht.« Das hatte Magister McDiarmid damals gesagt. »Und dann wiederum glaubt man zu erkennen, was ist, und sieht doch nur die Linien, die offensichtlich sind.«
    Aurora dachte an Emily.
    Little Neil Trent.
    Maurice Micklewhite.
    »Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die Dinge zu sehen.«
    Alle betrachteten den Engel.
    Der sagte: »Man ist selbst ein Teil der Linien und zu blind, dies zu erkennen.«
    Und Aurora Fitzrovia, die noch zu jung war, um im kunstvollen Spinnen verworrener Intrigen bewandert zu sein, begann sich bangen Herzens zu fragen, ob sie nicht schon alle genau das taten, was von ihnen erwartet wurde und was unabdingbar war, um den Plan des schattenhaften Puppenspielers im Hintergrund in die Tat umzusetzen.

Kapitel 10
White City
    Wir nehmen die Necropolis Railway, schlug Londons Efeu vor, nachdem wir die Pestgrube nahe Queensway verlassen und die Neuigkeit, die er uns mitgeteilt hatte, verkraftet hatten.
    »Die Necropolis Railway?«
    Der Weg, den einst die Toten genommen haben.
    Klingt verlockend, piepste Lady Mina.
    »Es gibt eine Linie, die ausschließlich die Toten transportiert hat?«
    Der Nebel waberte zustimmend. Manche von ihnen leben noch immer hier unten.
    Er hatte uns hinab in die Tiefen unterhalb der Pestgrube geführt, und nachdem wir eine Reihe von Stollen durchschritten hatten, gelangten wir an einem Bahnsteig an, dessen Wände bedeckt waren mit gemalten oder gezeichneten Bildern und alten Photographien, die hinter angestaubtem Glas prangten und teilweise nur zu erkennen waren, wenn man die dicke Schmutz- und Staubschicht wegwischte.
    Man erkannte Arbeiter mit Spitzhacken und Schaufeln und Eimern. Sie standen in grob behauenen Tunneln, halb fertigen Bahnhöfen und hinter mit Schutt beladenen Loren. Schmutzige Gesichter, müde

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