Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
die ich von klein auf besaß. »Ich hoffe, es kam nicht allzu überraschend.«
»Oh, fragen Sie nicht.«
Lady Mina, die die Knochenlawine ebenfalls gut überstanden hatte, blieb zu meinen Füßen sitzen. Na, das war ja was, murmelte sie erleichtert und putzte sich die Schnauze.
Der Nebel, der alt war wie London, schwebte über uns an der Decke.
»Was ist mit dem Nebel passiert, der uns verfolgt hat?«
Er ist jetzt ein Teil von mir, erklärte Londons Efeu uns. Das ist es, was wir Nebel tun, wenn wir wachsen wollen.
Ich sah mich um. Vor uns war eine Tür aus Eisen, die, wie sich zeigte, nicht verschlossen war.
»Wer hat Euch den Auftrag gegeben, uns zu beschützen?«, fragte Emily, die erneut husten musste. Der Staub war überall an ihrer Kleidung und auf ihrer Haut. Knochenstaub, der einmal lebendig gewesen war. Es schauderte Emily, wenn sie auch nur daran dachte.
Ihr werdet ihn treffen, versprach Londons Efeu mit ruhiger Stimme, die sich wie die Geräusche aus vielen Jahren anhörte. Bevor wir jedoch diesen Ort verlassen, müsst Ihr mich einatmen. Dies ist, wie Ihr wisst, eine Pestgrube, und die Saat, die Lady Pasteurella Pestis gesät hat, ist noch immer voller Leben. Er schwebte zu Boden. Wenn ich Euch umgebe, dann atmet tief und fest ein. Wie schwarzer Ruß kam er über uns. Es wird Euch nichts geschehen. Das, was die Lady gesät hat, wird nimmermehr zur Ernte werden.
Emily schloss die Augen, als sie den Mund öffnete und der kalte Nebel ihr in den Körper fuhr. Sie spürte das Lachen und Weinen all der Menschen, die einst in London gelebt hatten. Kinder spielten im Nebel, und Droschken fuhren darin herum. Es gab Diebstahl, Gewalt und Schändung. Fußgänger und Wagen und Fabriken. All das hatte Londons Efeu einst umfangen, und enthielt es immer noch.
Dann war es vorbei.
Emily sah an sich herab und stellte fest, dass der Staub auch von ihrem Mantel verschwunden war. Sie konnte frei atmen und schaute zu, wie Londons Efeu mir die gleiche Prozedur zuteil werden ließ.
Und ich? Lady Mina schien fast schon beleidigt zu sein, dass niemand sich um sie kümmerte.
Ihr seid eine Rättin, sagte Londons Efeu ganz ruhig und strich dem Tier nur sanft über das graue Fell. Das sollte genügen. Der Nebel zog sich zurück und schwebte wieder mitten im Raum zwischen den Gebeinen und uns. Die Lady Pasteurella Pestis wird bald schon in diese Gefilde zurückkehren.
»Wir haben verstanden«, antwortete ich und bedankte mich erneut für das beherzte Eingreifen.
»Dann seid Ihr es gewesen, den Lady Mina gewittert hat«, fragte Emily, »in der Kanalisation vor dem Portobello Market?«
Das war ich.
»Wir danken Euch, Londons Efeu.«
Ihr seid ein nettes Mädchen. Wenn Nebel hätten lächeln können, dann wäre die wirbelnde Bewegung wohl als solches zu deuten gewesen. Er hat gesagt, dass Ihr ein nettes Mädchen seid.
»Wer hat das gesagt?«
Derjenige, der mich darum gebeten hat, Euch zu schützen.
»Sagt mir seinen Namen, bitte.«
Ihr werdet ihn bald treffen. Er nannte den Namen, und als Emily endlich zu weinen aufgehört hatte, da folgten wir Londons Efeu zum U-Bahnhof von White City. Denn dort erwartete uns jemand, den wir lange Zeit schon tot geglaubt hatten.
Kapitel 9
Fortitudo Dei
»Die Engel«, hatte Maurice Micklewhite den beiden Mädchen damals erklärt, »leben am Oxford Circus.« Und dort, verborgen in ihrem Himmel aus Licht und Liedern, leben sie noch immer, tief unten in der Erde, wo niemand einen Himmel vermuten würde. Um die Belange der Menschen kümmern sie sich äußerst selten, doch haben sie stets ein wachsames Auge auf die Dinge, die sich um sie herum abspielen. Als Künstler treten sie zuweilen in der uralten Metropole und in den kalten Straßen Londons auf, erfreuen die Menschen mit Liedern und Gesang und Kunststücken.
»Lord Uriel«, sagte Tristan Marlowe mit Respekt in der Stimme, »ist noch immer das Oberhaupt des Ordens vom Oxford Circus. Wenn uns einer weiterhelfen kann, dann er.«
Sie waren bis zur U-Bahn-Station Oxford Circus gefahren.
Ein lauwarmer und unangenehmer Wind wehte ihnen in den Korridoren entgegen, und es roch nach warmen Abfällen und trockener Pisse, dem typischen Geruch der U-Bahn.
Am Fuße der Rolltreppe erblickten sie schon die dicken Schneeflocken, die oben am grauen Nachmittagshimmel wirbelten und von denen sich einige bis hinunter in die U-Bahn gewagt hatten, wo sie aber eines schnellen Todes starben und auf dem schmutzigen Beton dahinschmolzen. Der spontane
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