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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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von der Arbeit unter der Erde.
    Dies hier, erklärte Londons Efeu, sind die Arbeiter, die an der Errichtung der Necropolis Railway beteiligt waren. Jetzt sind sie tot, und nur die Bilder erinnern an sie.
    »Wer betreibt die Necropolis Railway heute?«, fragte ich.
    Der Nebel streifte die Photographien. Wenn wir die Photos betrachten, sagte er, dann erinnern wir uns an die Menschen, die einst einen Teil der Welt unter London erschaffen haben. Niemand stirbt wirklich, wenn sich noch jemand an ihn erinnert.
    Emily dachte an die Inschrift auf Maurice Micklewhites Grab. An das, was der Nebel uns gesagt hatte.
    Sie sah das Bild eines Mannes, der einen Vogelkäfig in der Hand hielt.
    Die Vögel warnten vor austretendem Gas, erklärte Londons Efeu.
    Die Bilderflut stimmte Emily ganz traurig. »Wer kommt denn hierher, um die Photographien zu betrachten und sich zu erinnern?«
    Ihr, antwortete der Nebel. Und wenn Ihr Euch erinnert, dann fährt auch die Necropolis Railway wieder.
    »Ihr meint, es werden noch immer Tote auf dieser Strecke transportiert?«
    Nein, Master Wittgenstein. Heute nicht mehr. Früher einmal schaffte man die Opfer der Lady Pasteurella Pestis auf diesem Wege zu den Gruben, und später dann wurden normale Bürger zu den Todstätten der uralten Metropole befördert. Doch das ist lange vorbei. Die Friedhöfe in diesem Teil der Stadt sind nun voll, und die Necropolis Railway ist stillgelegt.
    Dem zum Trotz hörten wir das laute Herannahen eines Zuges.
    Manchmal, wenn man sich an einen der Erbauer erinnert, fährt die Necropolis Railway erneut. Und White City, wo sich ein riesiger ehemaliger Friedhof befindet, liegt nun einmal auf der Strecke. Es gibt keinen schnelleren Weg, um dorthin zu gelangen.
    Der Zug fuhr in den Bahnhof ein.
    Dunkle Tücher, mit goldenen Ornamenten bestickt, hingen vor den Fenstern der schwarzen Wagen. Silberne Glöckchen waren in die Tücher eingewebt und ließen eine Melodie erklingen, die sich mit dem Schnaufen der alten Lokomotive zu einem seltsam trauernden Geräusch verband.
    Steigt ein, ich fließe voraus.
    Wir taten also wie geheißen.
    Die Geistwesen, die den Zug führten, schenkten uns kaum Beachtung.
    Eines von ihnen war der Mann, der den Vogelkäfig gehalten hatte. Er stand vorn im Führerhaus der alten Lokomotive und lächelte freundlicher, als er es auf der Photographie getan hatte.
    »Ist er ein Geist?«
    »Fragen Sie nicht mich.«
    Wer verstand schon all die Dinge, die in der Welt passierten?
    »Glauben Sie, der Nebel hat die Wahrheit gesagt?«
    »Er hat uns gerettet«, antwortete ich.
    Immerhin.
    Die Necropolis Railway jedenfalls brachte uns nach White City, wie es der Nebel versprochen hatte. Unterwegs passierten wir eine Reihe von Bahnhöfen und Grabstätten, von denen ich niemals zuvor etwas gehört hatte. Es war, als führen wir durch eine Welt, die sich bisher dem Auge des Betrachters entzogen hatte, weil sie allein hatte sein wollen mit all den Menschen, die ihre letzte Ruhe in diesen kalten Tiefen gefunden hatten.
    Willkommen in meinem Heim. Londons Efeu war schon vor uns in White City eingetroffen.
    »Eine seltsame Gegend«, murmelte Emily nur.
    Ich folgte ihr nach draußen.
    Staunte.
    Wie meine Schutzbefohlene es tat.
    Es war ein Ort aus Dünsten und Dämpfen und Nebel, an den uns Londons Efeu gebracht hatte. Gelegen unterhalb der U-Bahn-Station von White City, wo sich die Central Line und die Necropolis Railway kreuzten. Eine Höhle, in deren Mitte sich, umgeben von schneeweißen und edel behauenen Grabsteinen, ein Bürohäuschen befand, in dem früher jemand den Zwischendruck in all den dicken Heizungsrohren und verschlungenen und dürren Gasleitungen, die nach Ealing, Heathrow und sogar bis hinauf nach Chesham führen, kontrolliert haben musste. Eine Welt der Nebel war dieser Platz geworden, und Londons Efeu hatte uns dorthin geführt, weil dies sein Zuhause war. Hier war der Nebel, der einst Londons Straßen zugedeckt hatte, daheim. Rohre und Leitungen kamen wie Schlangen aus den Wänden gekrochen und kreuzten und verknoteten sich in der Höhle, waren zu einem Dschungel aus eisernen Lianen geworden, in denen Wasser, Wärme, Gas und Fäkalien von einem Ort zum anderen reisten. Von der Decke tropfte Wasser, und wenn es auf die heißen Rohre traf, dann verdampfte es, und sanfte Nebelschwaden stiegen auf, bedeckten die rostigen Rohre wie glitzernder Morgentau und wehten mit dem Wind über diese befremdliche Landschaft, die aussah wie die Innereien einer

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