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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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es mich beinah das Leben gekostet hätte.«
    »Sie sollten, denke ich, Ihre Geschichte von Anfang an erzählen.«
    Emily musste daran denken, wie sie Aurora die Nachricht überbracht hatte.
    Wie ihre Freundin geweint hatte.
    Stundenlang.
    In ihren Armen.
    Emily stellte erstaunt fest, dass aus dem Jungen, den sie einmal gekannt hatte, ein junger Mann geworden war, der noch um ein Vielfaches ernster und ruhiger wirkte als der schüchterne Junge, den sie damals im alten Raritätenladen kennen gelernt hatte. »Wie Sie wissen«, richtete Neil die ersten Worte an mich, »hat die Pequod im Winter vor sechs Jahren London verlassen. Doch mit der Zeit ist es, wie Sie damals sagten, so eine Sache.« Er seufzte. »Es gibt Orte auf der Welt, an denen die Zeit anders tickt.«
    Die uralte Metropole, das wusste Emily, war einer dieser Orte.
    »Master Gregory Gardiner übernahm die Pequod kurz nach Weihnachten auf der Themse und segelte zwei Tage später aus dem Hafen von Plymouth. Im März nahmen wir in Madeira Vorräte auf, und Rio de Janeiro erreichten wir drei Monate später. Die Pequod, müsst Ihr wissen, war ein Handelsschiff.« Emily erinnerte sich noch. Neils Vater hatte einst eine Handelsgesellschaft besessen, die jedoch Konkurs hatte anmelden müssen. Auf einem Schiff die Weltmeere zu bereisen war immer schon des Jungen Traum gewesen, und gern erinnerte Emily sich an die Besuche drüben in Greenwich, wo sie einander Geschichten erzählt und die Cutty Sark bewundert hatten. »Im Herbst segelten wir dann vor Feuerland, das wie eine fremde Welt war.« Die blauen Augen funkelten verträumt. »Tiere, die so seltsam waren, dass ich sie mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.«
    Dann: frischer Wind im Süden, Südwesten und Westen, dazu Schneetreiben, dichter Regen und bittere Kälte.
    »Ich arbeitete als Schiffsjunge.« Er lächelte. »Ja, so was gibt es noch. Genau das war mein Job.« Er schilderte in kurzen Worten das Leben, das er an Bord geführt hatte. Einfache Arbeiten, ehrlich und mühsam. Für keinen geringeren Lohn als die Erfahrung, die ihm einmal dienlich sein würde in seinem Leben, wie er hoffte. »Wir brauchten fast einen Monat, um das Kap Hoorn zu umsegeln.«
    Nach Verlassen der Straße von Le Maire mussten sie kein einziges Mal die Marssegel reffen, was ein außerordentliches Glück war, das nur wenigen Schiffen in diesen Gewässern zuteil wurde.
    »Dann segelten wir in nordwestlicher Richtung nach Tahiti, wo wir neuen Proviant aufnahmen. Etwa ein Jahr, nachdem wir Plymouth verlassen hatten, erschienen steuerbords die Santa-Cruz-Inseln.« Neil Trents Blick verfinsterte sich. »Es war in jenen Breiten, wo uns ein Notruf erreichte, der Kapitän Gardiner den Kurs ändern ließ.«
    »Was war passiert?«
    »Es war ein schottischer Schoner, der den Funkspruch ausgesendet hatte.«
    »Welchen Notruf?«
    »Unbestimmt. Kein maritimer Code.«
    Ich nickte nur.
    »Der Kapitän teilte der Mannschaft mit, dass das fremde Schiff nichts außer seinen Koordinaten übermittelt habe.« Bedeutungsschwanger sah er uns an. »Und dass die Koordinaten eine Insel beschrieben, die sich in der uralten See befände.«
    »Die uralte See?« Niemals zuvor hatte Emily davon gehört.
    Neil setzte sich auf eines der dicken Rohre, die zwischen den Grabsteinen entlangliefen. »Die uralte See ist ein Gebiet, das sich südlich der Marshall-Inseln und nordwestlich von Tonga erstreckt. Es sind nahezu unentdeckte Gewässer, in denen ähnliche Naturgesetze gelten wie in der uralten Metropole. Die Zeit verläuft dort anders, und Längen- und Breitengrade zerfließen zu etwas, das anders ist als alles, was wir kennen. Nur wenige Seefahrer trauen sich in diese Gewässer. Die Seeleute munkelten, dass Sindbad der Seefahrer sich einst dorthin verirrt hatte. Dass Gewässer wie jenes, das wir anzusteuern im Begriff waren, sich überall auf der Welt befinden. Doch keiner wusste etwas Genaueres über dieses Meer. Es war eine geheimnisvolle See, in der, wie wir schon bald feststellen mussten, die seltsamsten Wesen lebten.«
    Dann beschrieb er Kreaturen, von denen selbst ich noch nie zuvor gehört hatte. Von Gischtgeistern, die am Bug des Schiffes tanzten, und Nebelnymphen, die betörende Gesänge anstimmten, war da die Rede. Von Wellenwürmern, die nach unvorsichtigen Seeleuten schnappten, und Windwichten, die sich in der Takelage verfangen konnten.
    »Wir benötigten fünf Tage, um das fremde Schiff zu erreichen.«
    Emily nahm ebenfalls auf

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