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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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wollen.
    Worüber ich geschwiegen hatte.
    All die Jahre.
    Jene langen, leeren Jahre.
    Doch am Ende erfuhr Emily alles.
    »Niemand«, beendete ich meine Erzählung, »ist ohne Vergangenheit.«
    Emily starrte den Boden an.
    Dann mich.
    Schwieg.
    Erst nach einer ganzen Weile flüsterte sie: »Das hätte ich nie gedacht.«
    »Jetzt wissen Sie, warum ich nicht wollte, dass Sie noch länger die Whitehall Schule besuchen. Wir mussten Sie dort anmelden, weil wir sonst auf uns aufmerksam gemacht hätten. Es ist Tradition, dass Trickster dort unterrichtet werden. Maurice Micklewhite hatte den Vorschlag unterbreitet und gleichzeitig seine Bedenken geäußert. Damals. Von Anfang an hatten wir gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem Sie die Schule würden verlassen müssen.«
    Jetzt wusste Emily, dass es bei mir nicht anders gewesen war.
    Dass die Rättin namens Mylady Hampstead mir beigestanden hatte in jener schweren Stunde.
    »Hat Tristan Marlowe Whitehall auch verlassen müssen?«
    »Ja.«
    »Dann ist auch er ein Trickster?«
    »Ja.«
    Neugierig hakte Emily nach: »Und seine Geschichte?«
    »Fragen Sie ihn doch selbst. Die Geschichte gehört ihm, und nur er soll entscheiden, ob sie jemand zu hören bekommt.«
    Der Gedanke, dass jener arrogante junge Mann ebenfalls in Whitehall gelitten und nur unter äußersten Schwierigkeiten die Schule hatte verlassen können, ließ ihn in einem etwas anderen Licht erscheinen.
    »Und McDiarmid?«
    »Magister McDiarmid hat mir, wenn Sie so wollen, das Leben gerettet. Mir und …« Ich stockte. Beobachtete eine Spinne, die am Boden entlangkrabbelte. Flink und behände. »Bringe die Kunde, dass wir hier sitzen, zu deinen Freunden.« Ich wendete mich wieder Emily zu. »Das Leben kann wirklich gierig sein, und wenn es einem das Herz verschlungen hat, dann bleibt an dieser Stelle Nacht auf ewig.«
    So viel dazu.
    Immerhin.
    Emily Laing wusste nun Bescheid.
    Sie dachte über das nach, was ich ihr erzählt hatte. Tauchte ein in jenes alte London, das sie nur aus den Erzählungen von Stevenson und Dickens kannte. Die düstere Welt gaslichterhellter Straßen, in denen Nebel waberte und verhüllte Gestalten ihr Unwesen trieben. Wo Magie neben der Wissenschaft existiert hatte und die Menschen an der Schwelle zu einer ganz neuen Zeit gestanden hatten.
    Dann, es mochten Stunden vergangen sein, in denen wir geschlafen, gegrübelt oder einfach nur still starrend auf dem kalten Boden gesessen hatten, öffnete sich die Tür.
    Wir erhoben uns, als das Geräusch des Schlüssels die Stille zerschnitt.
    Jede Bewegung tat weh.
    Auch Emily verzog das Gesicht.
    Die Feuchtigkeit war ein Feind, der unsichtbar seine Siege feierte.
    »Ein überraschender Gast«, begrüßte ich die Frau in dem schwarzen Mantel.
    »Mortimer, Miss Laing.«
    Es war Miss Monflathers, die uns in dieser zeitlosen Welt des Dämmerlichts besuchte.
    Die zwei Mönche, die sie begleiteten, waren Black Friars, zweifelsohne.
    »Sie sind sicherlich gekommen, um den Dank für die Unterbringung entgegenzunehmen.«
    »Du kannst dir den Spott sparen, Mortimer.« Die Leiterin der Whitehall Schule warf uns abschätzige Blicke zu.
    »Was wollen Sie?«
    »Miss Laing, Ihre Höflichkeit lässt zu wünschen übrig.«
    »Dies ist nicht der Moment für Etikette, wie mir scheint.«
    »Da haben Sie Recht.« Sie sah Emily an. »Aber sagen Sie mir: Wie ist es, wenn man bemerkt, dass man besser die Rolle, die das Leben einem ausgesucht hat, gespielt hätte?«
    Emily wusste nicht recht, worauf sie hinauswollte. »Ich bin immer noch ein Waisenmädchen«, sagte sie. »Ich wüsste nicht, dass sich daran etwas geändert haben sollte.«
    »Miss Myriel Manderley ähnelt Ihnen kaum.« Miss Monflathers kostete jedes Wort aus. »Ihre Schwester, will ich meinen, ist eine überaus gelehrige Schülerin. Vielen Dingen gegenüber sogar weitaus aufgeschlossener, als Sie es je waren.« Sie sah mich an. »Es erübrigt sich, denke ich, auf dein Verhalten anzuspielen, Mortimer.«
    »Sie sagen es.«
    Die beiden Black Friars standen regungslos hinter der hoch gewachsenen Frau. Ihre Gesichter lagen im tiefen Schatten der Kutten verborgen. Nur ihren Atem konnte man leise hören.
    »Warum sind wir hier?«, wollte Emily schließlich wissen.
    »Das, meine Liebe, müssen Sie sich schon selbst zusammenreimen. Haben Sie etwa geglaubt, der Herr dieses Spinnennetzes zeigt sich Ihnen persönlich und lässt sich in aller Ausführlichkeit über den Plan aus, den er seit Jahrhunderten verfolgt?

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