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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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schmiedeten ihre Pläne in den Mauern der Anwesen vom Regent’s Park und von Blackheath. Salem House sollte nicht mehr lange die Schule sein, die ich besuchen musste. Die Differenzen zwischen dem, was man von mir erwartete, und dem, was ich leistete, wuchsen mehr und mehr und bescherten mir regelmäßige Besuche bei der Schulleitung.
    »Etwas stimmt dort nicht«, pflegte auch Rima zu sagen.
    »Niemand sieht die Absolventen jemals wieder.«
    Das war eines der Geheimnisse von Salem House. Wenn die Absolventen die Schule verließen, dann wurden sie niemals wieder gesehen. Jedenfalls nicht, wenn es sich um Trickster gehandelt hatte. Man munkelte, dass sie in den Dienst der Garde eintreten würden, doch sah man niemals auch nur einen einzigen Gardisten, der das Gesicht eines ehemaligen Schülers trug.
    »Wir müssen aufpassen«, warnte ich Rima von Anfang an.
    »Du denkst wirklich, dass es ernst ist?«
    »Frag besser nicht.«
    Es wurde nicht gern gesehen, wenn Trickster unterschiedlichen Geschlechts miteinander zu tun hatten. Und Gerüchte gab es zuhauf. Mitschüler, die Hinweise an den Lehrkörper weitergaben. Neugierige Lehrer, die argwöhnisch wie Schatten durch die Korridore schlichen.
    Selbst das, was wir außerhalb des Schulgebäudes taten, blieb nicht lange unentdeckt.
    Diejenigen Schüler, die nicht über besondere Talente verfügten, wurden nicht den strengen Regeln unterworfen, die für die Trickster galten. Uns allein galt das Augenmerk, und dessen eingedenk kam es einem Wunder gleich, dass ich Rima überhaupt kennen zu lernen vermochte.
    Das Schicksal brachte uns an einem Tag im Herbst zusammen.
    Im Jahre 1896.
    Draußen auf dem Hof der Schule wehten bunte und braune Blätter über das Kopfsteinpflaster. Zu kleinen Häufchen sammelten sie sich an den Gaslaternen, die in regelmäßigen Abständen die Umzäunung säumten. Ein leichter Nieselregen hing wie ein Schleier über der Stadt, und dünne Sonnenstrahlen zauberten zögerlich einen Regenbogen über die schrägen Dächer der City.
    »Ein viel zu schöner Tag, um hier zu sein«, war das Erste, was sie zu mir sagte.
    Nicht, dass ich ihr widersprochen hätte.
    Beide waren wir an diesem Tag zu Mr. Creakle geschickt worden, der uns für die diversen neuerlichen Vergehen wider die Schulordnung zur Rechenschaft zu ziehen gedachte.
    Schülerinnen und Schüler wurden damals in streng voneinander getrennten Flügeln unterrichtet, und es war ihnen untersagt, miteinander zu sprechen.
    »Jede auch noch so kleine Form von Ablenkung«, stellte Miss Monflathers, eine der neuen Lehrerinnen, gern fest, »ist zu vermeiden.« Dann wies sie uns auf die besonderen Talente, die einige der Schüler besaßen, hin. »Konzentration auf das, was in euch ruht, sollte euer Leben bestimmen.« Und auch für die anderen galt: »Niemals dürft ihr mit den Gedanken bei Dingen, die nur Straßenkindern würdig sind, verweilen.«
    Es war eine strenge Schule.
    Salem House.
    Allein der Klang des Namens beschwor lange Nachmittage herauf, die man brütend vor dicken Büchern verbringen musste.
    »Was hast du verbrochen?«, fragte sie, als wir uns vor dem nach altem Holz riechenden Zimmer des Rektors trafen.
    Ich setzte ein verwegenes Lächeln auf. »Einiges.«
    Sie lachte. »Das glaube ich dir.«
    »Und du?«
    »Einiges.«
    Wir sahen einander an.
    Draußen fiel ein Sonnenstrahl auf das Fenster, an dem einige bunte Blätter klebten.
    »Eigentlich dürften wir gar nicht miteinander sprechen.«
    »Der ehrwürdige Mr. Creakle kann dieses Gespräch der langen Liste der Vergehen hinzufügen, wenn er möchte.«
    »Du bist ganz schön frech.«
    »Sonst wäre ich nicht hier.«
    Sie lächelte wieder.
    »Und du wohl auch nicht.«
    Sie reichte mir die Hand. »Ich bin Rima«, stellte sie sich vor. »Rima Maria Wittgenstein.«
    »Und ich bin …«
    Schnell trat sie vor und legte mir einen Finger auf den Mund. »Psst«, flüsterte sie.
    Ich schwieg.
    Nur kurz überlegte sie, sagte: »Lapislazuli.«
    Fragend sah ich sie an.
    Murmelte verlegen: »Ach?«
    »Das ist der Name, der zu dir passt«, antwortete sie.
    Schon vorher war sie mir aufgefallen, draußen auf der Straße, als sie in Richtung Salem House gehetzt war, weil sie sich verspätet hatte. Eine Tasche aus abgewetztem Leder trug sie allzeit bei sich, und das kurze Haar stand ihr struppig in allen Richtungen vom Kopf ab.
    »Kennst du den alten Raritätenladen?«, fragte sie.
    »In Covent Garden?«
    Sie nickte. »Heute Nachmittag, nach den Kursen?«
    »Ja«,

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