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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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auf die Stirn.
    Stand auf.
    Lief zum Telefon.
    »Er wird kommen«, sagte ich, als ich zu ihr zurückkehrte.
    »Micklewhite?«
    Ich nickte.
    »Er bringt jemanden mit.«
    »Einen Arzt?«
    »Jemanden aus der uralten Metropole.«
    Zusammengekauert saß sie auf dem Boden.
    Ich neben ihr.
    So warteten wir.
    Keine Stunde später erschien Maurice Micklewhite, der Mylady Hampstead eng verbunden war, mit einem bärtigen Inder aus Brick Lane Market, den er uns als den Shah-Saz vorstellte. Ein verfilzter Bart bedeckte wie tintenschwarze Zuckerwatte einen Großteil des faltigen Gesichts, und aus den Ohren und der krummen Nase wuchsen dem Shah-Saz lange Haarbüschel. Die schwarzen Augen indes zeugten von unaufdringlicher Weisheit.
    »Miss Wittgenstein«, sagte der Shah-Saz mit ruhiger Stimme und kniete sich neben sie.
    Ich berichtete ihm, was geschehen war.
    »Es gibt eine Möglichkeit, Sie zu retten.«
    »Was ist mit dem Kind?«
    »Sie werden beide leben oder beide sterben.«
    Erschrocken sah ich ihn an. »Können Sie ihr helfen?«
    »Ja, ich kann.«
    »Dann tun Sie es!«
    Maurice Micklewhite trat neben mich und legte eine Hand auf meine Schulter.
    »Er wird tun, was zu tun ist. Deswegen ist er hier.«
    Unbeirrt fuhr der Shah-Saz fort: »Die Trickster, die Ihnen aufgelauert haben, wollten das Kind töten.«
    »Ich habe mich gewehrt«, stammelte Rima, »doch eine Weile konnten sie mir standhalten.«
    »Das hat ausgereicht, um auch Sie zu vergiften.« Der Shah-Saz berührte ihren Bauch. »Einer der Trickster hat etwas getan, das Sie bald töten wird.« Er schloss die Augen. »Ich spüre den Tod, der in Ihnen ist.« Leise fügte er hinzu: »Der in Ihrem Kind ist.«
    Rima starrte ihn an.
    Dann mich.
    Wer hatte uns das nur angetan?
    Der Shah-Saz seufzte tief. »Es gibt im Mahabharata etwas, das man als die Zwei Gesichter der Ahalya bezeichnet.« Er schien nur ungern darüber zu sprechen. »Glück und Leid sind diese beiden Gesichter, und am Ende, so das Mahabharata, wird aus beiden ein einziges Gesicht geboren. Das der Zukunft, die Einsamkeit und Leben zugleich ist.«
    »Tun Sie es einfach!«, schrie ich ihn unter Tränen an.
    Hielt die Hand meines Mädchens.
    »Magie«, teilte mir der Shah-Saz mit, »verlangt oft einen hohen Preis.«
    »Schon gut. Ich tue, was getan werden muss. Nur helfen Sie den beiden!«
    »Nur die Liebe kann ihnen jetzt noch helfen.«
    Maurice Micklewhite wirkte bleicher als sonst.
    Stand hinter mir und Rima.
    »Liebe ist selbstlos«, sagte der Shah-Saz, »und verlangt nach Opfern.« Er sah uns beide an. »Miss Wittgenstein und das Kind werden nur dann geheilt werden und leben, wenn Sie, junger Mann, die beiden niemals wiedersehen. Noch bevor das Licht des anbrechenden Tages über die Stadt kommt, müssen Sie beide getrennte Wege gehen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Lieber will ich sterben«, sagte Rima.
    Ihr Händedruck war kräftig.
    Verzweifelt.
    Sie weinte.
    »Du wirst leben«, versprach ich ihr. »Ihr beide werdet leben.«
    Wieder fragte ich mich, wer ihr das angetan hatte.
    »Was geschieht, wenn wir uns wiedersehen?«
    Ernst antwortete der Shah-Saz: »Ihr werdet sterben.«
    Ich schwieg.
    »So will es der Zauber, den ich aussprechen kann, wenn Sie einwilligen.«
    Leben und Einsamkeit.
    »Tu das nicht«, bat mich Rima. »Lass uns hier sterben. Bei dir.«
    »Wir müssen es tun.« Ich berührte ihren Bauch. »Uns bleibt keine Wahl.«
    Sie zitterte.
    Krämpfe schüttelten sie.
    Die Zeit drängte.
    »Ich bin bereit«, sagte ich mit fester Stimme, »den Preis zu zahlen.«
    »Ihre Tränen sprechen die Wahrheit«, antwortete der Shah-Saz.
    Dann wendete er sich Rima zu.
    Die nickte.
    »Ich zahle … den Preis.«
    Der Shah-Saz vollführte eine Kreisbewegung mit den Handflächen. »So sei es.«
    Dann erhob er sich.
    Schaute nach draußen.
    Die dunklen Augen waren unergründlich.
    »In sechs Stunden geht die Sonne auf.«
    Mehr war nicht zu sagen.
    Niemals war die Welt gieriger gewesen, und die Hoffnungen, die unser Leben mit Licht erfüllt hatten, ertranken in einem Meer aus Tränen, so tief und kalt, dass ein Herz allein nimmer darin würde überleben können.
    Die nächsten Stunden verbrachten wir allein im Raritätenladen. Dann gingen wir hinaus in die Nacht, in der sich das Morgengrauen ankündigte. Schnee wehte durch die Dunkelheit, legte sich auf unsere Gesichter.
    »Maurice Micklewhite wird mich zur Themse bringen«, sagte sie nur.
    Dort würde ein Schiff auf sie warten.
    Sie fortbringen.
    Dorthin, wo ich sie

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