Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
aller Pflanzen im Raum vor Freude, als spürten sie das Glück, das uns umgab. Sie bewegten sich, als sei ein Windstoß durch den Raum geweht.
Zum ersten Mal, seit ich London verlassen habe, bin ich glücklich. Laut schreien könnte ich, damit es jeder erfährt. Denn Du bist bei mir. Meine kleine wunderbare Scarlet, die zu den Pflanzen sprechen kann. Du bist so scharlachrot, wie Dein Vater es war, wenn er mich umarmte und lachte. Er wäre stolz auf Dich. Willkommen im Leben.
ZWEITES BUCH
SCARLET
KAPITEL 1
DAS WINTERMÄDCHEN
Die Erinnerungen sind wie das Wasser, scharlachrot, durchwebt mit bunten Steinen. Und manchmal sind es bitterste Furcht und tiefste Wehmut, die sich im einst vergessenen Wissen verbargen und einem schier das Herz zerreißen, da selbst die eigenen Gefühle nun andere sind als noch Augenblicke zuvor. Scarlet Hawthorne erfuhr dies alles auf schmerzlichste Weise, als sie Lady Solitaire gegenübertrat. Alles, woran sie bis dahin geglaubt hatte, veränderte sich im Wimpernschlag eines eisig kalten Auges, und die Hölle, die jeder von uns in sich trägt, wurde mit einem Kuss, der noch immer auf den Lippen brannte, zum Leben erweckt.
Follow the yellow brick road.
Das ist es, was ihr durch den Kopf schießt.
Sie erinnert sich an das Lied.
Die Straße.
Den Weg.
Es gibt keinen Zauberer von Oz. Nicht hier.
Ja, jetzt sind wir an einem Ort, der bisher nur in unseren Träumen existierte.
»Wohin gehen wir?«, fragt mich Scarlet.
»Geradeaus, immer der Nase nach.«
»Warum ist der Engel nicht mit uns gekommen?«, fragt sie.
»Ich weiß es nicht.«
»Tun wir das Richtige?«
Ich schweige.
Scarlet nickt. Sie muss nicht aussprechen, was sie denkt, es steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Für einen kurzen Augenblick zögern wir. Dann betreten wir den fremden Ort und folgen dem Weg. Wir sehen, was vor uns liegt. Alles ist so vertraut und doch ganz anders, als wir es uns in den kühnsten Träumen ausgemalt haben.
Doch, nein, ich sollte nicht schon wieder abschweifen.
Ich sollte den Faden der Geschichte genau dort aufnehmen, wo wir ihn haben fallen lassen.
Folgen Sie mir zurück nach New York, unter die Stadt der zwei Flüsse, tief hinab in die uralte Metropole, wo wir soeben durch eine geheimnisvolle Tür getreten waren, die uns an einen entfernten Ort brachte, zu einer schimmernden Gestalt in einen Raum aus Eis und Winterszeit, wo klirrende Dinge wie Spiegel ihre eigenen Tränen fraßen.
»Willkommen in meiner Hölle«, sagte eine Frau, die glei ßend weißes Licht am Leib zu tragen schien. Sie breitet die Arme aus und lächelt wie Schnee, der durch dichtes Geäst nach unten fällt. »Ich bin Lady Solitaire.« Dann gefror ihr Gesicht, das jung und hübsch war, als sei die Zeit eine liebende Gefährtin, und wir alle waren uns bewusst, wie nah uns der Tod nun gekommen war. Sie sprach die Namen der Anwesenden aus, als hüteten sie, jeder für sich, ein Geheimnis: »Miss Scarlet Hawthorne, Mr. Jakob Sawyer, Mistress Anthea Atwood. Wie schön, dass Sie alle mich beehren.«
»Was ist mit Queequeg passiert?«, wollte Jake augenblicklich wissen. Er trat vor und wirkte grimmig.
»Die Spinnen haben sich an ihm gütlich getan. Sie waren hungrig.« Die Lady in Weiß ließ keinerlei Anteilnahme erkennen. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos und wunderschön.
Scarlet wurde rot vor Zorn. »Er war ein guter Mensch.«
»Mag sein.«
»Mag sein?«, äffte Scarlet sie nach.
Und Lady Solitaire, deren Augen wie Eis aussahen, erwiderte: »Er hat seine Nase in Angelegenheiten gesteckt, die ihn nichts angehen.« Sie wirkte streng und kühl. Seltsam leer schienen die großen Augen, die von blendendem Eisblau waren. Und Scarlet musste sich eingestehen, dass die Frau, die dort stand, wunderschön war, nahezu makellos schön.
Wir sahen uns um.
»Wo sind wir?«, fragte Scarlet.
Die Tür hatte uns direkt in diesen Raum geführt.
»Im alten Paramount-Theater«, gab ich zur Antwort. »Ich bin früher oft hier gewesen.«
Sie sah mich von der Seite an. »Bela Lugosi?«
Ich enthielt mich der Antwort.
»Und Claude Rains«, bemerkte Jake mit einem Augenzwinkern.
Wirklich lustig fand das niemand.
Ich jedenfalls nicht.
»Claude Rains war immerhin sehr charmant«, bemerkte ich nur, »ich bin ihm einmal begegnet.«
Der Glanz vergangener Zeiten schwebte noch immer durch diesen Raum, der ein Saal war.
All die großen Stars waren in den vergangenen schwarzweißen und später dann schrill technicolorbunten Zeiten
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