Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
das. Der Streifenschwanzmungo setzte sich auf die Hinterbeine und warf sich in die Brust.
    Christo Shakespeare konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ja, das habt ihr wohl.«
    Draußen wehte noch immer ein eisiger Winterwind um das Gebäude. Scarlet war froh, einen Augenblick ausruhen zu können. Sie vermisste es sehr, irgendwo daheim zu sein.
    »Hell Gate«, flüsterte Shakespeare. »Ist kein guter Ort. Und ich meine jetzt nicht die Untiefen im East River.« Er
ließ sich am Tisch bei uns nieder, schlürfte seinen Kaffee, und seine dunklen Augen fixierten einen unsichtbaren Punkt in der schattenhaften Tiefe der Regalreihen, die sich hinter uns auftaten. »Schon immer sind dort Menschen verschwunden. Und Tiere.« Sein Gesicht wurde finster. »Hell Gate trägt seinen Namen zu Recht, wenn ihr mich fragt. Es ist eine Grotte, die man nur bei Ebbe betreten kann. Niedrigwasser ist der Schlüssel, könnte man sagen. Es gibt Legenden über Helden, die sich dort hineingewagt haben sollen. Aber keinen von ihnen hat man je wiedergesehen. Sogar die Tiere meiden diesen Ort. Es gibt dort keine Moskitos, keine Alligatoren, keine Mokassinschlangen. Nicht mal die Buthas und die Liches wagen sich dorthin. Es ist ein böser Ort, das sagen alle. Das habe ich schon gehört, als ich noch ein Kind war.«
    »Sie sind dort aufgewachsen?«, fragte Scarlet.
    »Ja, das bin ich.« Er lehnte sich zurück und sagte stolz: »Ich gehörte einer elfischen Familie an, die in den Weiten der Sahara gelebt hatte, vor Jahrhunderten. Doch dann kamen fremde Schiffe an die Küste und nahmen die Menschen aus der Wüstenstadt einfach mit. Sie legten sie in Ketten und brachten sie an andere Orte, überall auf der Welt, wo sie zu Dienern ohne Gesichtern wurden.« Er rollte mit den Augen. »Meine Familie kam im achtzehnten Jahrhundert nach Amerika, Miss Scarlet. Sie brachten uns als Sklaven in den Süden.« Die Erinnerung schmerzte ihn sehr, und hinter seinem gefassten Äußeren taten sich noch immer Abgründe auf, die selbst die Zeit nicht zu schließen vermochte. »Ich war der Einzige, der überlebte.« Er schluckte schwer. »Mein Vater bekam nach einem Fluchtversuch den linken Fuß abgeschlagen. Er starb an Wundbrand. Meine Mutter, die in den hellen, weiten
Sandländern eine Königin von Anmut und Größe gewesen war, wurde an eine Plantage in Atlanta verkauft. An eine grässliche Familie namens Wilkes. Sie starb, als eine der Hütten brannte, in denen die Sklaven lebten. Ich hörte nur davon, als die feinen Herren darüber redeten.« Seine langen Finger umspielten die Tasse, damit sie nicht ruhig bleiben mussten. »Ich selbst floh aus der Mühle, in der ich arbeiten musste. Ich floh in die Sümpfe.« Er sah Scarlet tief in die Augen. »Ich war noch ein Kind, als ich fortlief. In den Sümpfen traf ich die Cajuns, die dort lebten. Sie nahmen mich auf, und ich war einer von ihnen.« Er stand auf und begann im Raum herumzulaufen. »Es lebten viele Sklaven bei den Cajuns.« Er sortierte Bücher aus Kisten in die Regale ein. »Dann begann der große Krieg, und die Everglades veränderten sich immer mehr.« Er hielt ein altes Buch mit braunem Umschlag in den Händen, betrachtete es. »Zu unruhig waren die Zeiten geworden, und so wanderten die Sümpfe nordwärts, in die freien Staaten.« Er stellte das braune Buch behutsam zu den anderen ins Regal. »Nach zwei Jahren der Wanderschaft erreichten sie die uralte Metropole von New York, und hier ließen sie sich nieder. Drüben am East River, in den Gewölben, die groß sind wie ein ganzes Leben. Sie wurden zu den Neverglades, und es gibt sie noch immer.« Er machte eine Pause, kurz nur, ehe er fortfuhr. »In den Neverglades gibt es eine uralte Grotte, die seit alten Zeiten Hell Gate genannt wird. Man sagt, sie sei schon immer dort gewesen. Sie ist nicht aus dem Süden gekommen. Sie ist wie ein Geschwür, das immer schon dort, an genau dieser Stelle wuchert.«
    »Was passiert dort?«
    »Es soll Wesen geben, wird gemunkelt, Kreaturen mit vielen
Beinen und durchsichtigen Flügeln.« Er bemerkte unsere Blicke und betonte: »Etwas, was nicht von dieser Erde ist. Etwas, so sagt man, was aus der Hölle kommt.« Er zog ein Buch aus dem Regal hinter sich und klappte es auf. »Sie sind so schrecklich, dass nicht einmal die Cajuns einen Namen für sie haben.« Er klappte das Buch zu, ohne zu sagen, was er darin gesucht hatte, stellte es zurück ins Regal und sah uns an. »Sogar die rastlosen Baba-Yaga in ihren

Weitere Kostenlose Bücher