Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
»Unsere Haut ist faltig geworden, wir haben an Sehkraft eingebüßt.« Er lachte traurig. »Wir wollten leben, und dann, irgendwann, wollten wir sterben.«
»Doch dann hat die neue Regentin damit begonnen, die Engel ausfindig zu machen. Die Schlafwandler haben den Himmel am Oxford Circus infiziert, so fing es an.« Wütend stapfte Lilith um Pairidaezas Stock herum. »Lord Uriel war einer der wenigen, die überlebten. Alle sprachen von dem neuen Berater, der nach London gekommen war. Wir wussten sofort, wer er war.«
»Er machte nicht einmal ein Hehl aus seinem Namen«, sagte Lucifer. » Lord Somnia. Er verbirgt sich nicht wirklich hinter dem Namen. Er ist der Träumer, der die Welt einst träumte, wie die Welt ihn selbst heute träumt. Er ist derjenige, der die Freiheit frisst. Er ist derjenige, der das Paradies zerstört hat. Er hat die Dreamings geschaffen, um die Schöpfung selbst in ihren geheimsten Träumen zu kontrollieren. Doch die Schöpfung entwickelte ihre eigenen Gedanken. All die Menschen, die ihre Fragen zu stellen lernten. Ja, wenn die Menschheit in etwas besonders gut war, dann darin, Fragen zu stellen. Alles hinterfragten sie, seine Kinder, und nichts nahmen sie als gegeben hin.« Stolz betonte er: »Das ist mein Erbe. Ich habe sie gelehrt, ihre Köpfe zu gebrauchen und nichts als vorbestimmt hinzunehmen.«
Lilith seufzte. »Wir gingen nach Gotham. Wir wussten, dass der Träumer hier an Macht verlor.«
»Wir mussten wieder zu Kräften kommen«, sagte Lucifer. »Auch Lord Uriel und eine Schar versprengter Engel flohen nach Amerika. Sie suchten mich auf und baten mich darum, an ihrer Seite zu kämpfen.«
»Mehr noch«, sagte Lilith, »sie baten ihn darum, sie anzuführen.«
Virginia Dare, die sich auf eine Treppenstufe setzte, sagte: »Ich stieg in die engsten Kreise der Hölle hinab.« Sie sah uns starr an. »Ich ging zu den Kindern des Limbus und suchte mit ihnen nach einem Ableger der Pflanze, die einst im Paradies gewachsen war.«
»Sie durchwanderte die Wüstenei«, sagte Lilith, »ließ Pandaemonium weit hinter sich und betrat die Orte, die nicht einmal Lucifer in seinen Träumen bereist hatte. Sie traf auf verlorene Seelen, die seit Jahrhunderten durch die Ödnis irrten, sie ließ sich von ihnen Geschichten erzählen, und in all den Worten erkannte sie schließlich den Pfad, der sie zur Quelle führte. An den Ort, an dem die Wurzeln des Baumes sprossen. Pairidaezas Stock. Sie brachte den Ableger zurück in den neunten Kreis der Hölle, der noch immer ein Eispalast ist. Sie brachte ihn in die Stadt, in der sie lebte, nach New York.«
»Alles, was sich niemals wiederholen sollte«, stellte Lucifer fest, »begann aufs Neue.«
»Wir nahmen uns die Kinder von der Straße, und der Lebensbaum trank von ihrer Unschuld. Ich wurde wieder zu der Frau in Weiß, die durch die Nacht zog und die Kinder stahl.« Lilith wirkte traurig, als sie das sagte. »Sie nährten den Lebensbaum, und die Trauben, die an ihm wuchsen, enthielten die Essenz, die uns die Kraft gab, nach der es uns verlangte.«
»Ich wurde wieder zum Lichtlord.«
»Und ich bin Lilith.«
Scarlet sah die beiden fasziniert und zugleich voller Abscheu an. »Sie haben die Kinder getötet.«
»Sie sind nicht tot.«
»Nur verloren.«
Scarlet seufzte. »Wo ist mein Vater?« Sie fragte sich, was er mit dieser Sache zu tun hatte.
»Er schläft«, antwortete Lucifer.
»Was heißt das?«
»Er träumt. Er lebt in einem Traum. Dort ist er sicher, denn es ist unser Traum.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich«, sagte Lucifer, »war der erste Engel, der zu träumen vermochte. Ich dachte mir eine Zukunft aus, die frei war von den Zwängen des Träumers. All die anderen Engel, die später zu träumen erlernten, bekamen diese Gabe, weil ich sie ihnen schenkte. Ich hatte sie erkämpft.« Flüsternd fügte er hinzu: »Ich allein habe die Macht, sie alle in ihren Träumen zu einen und zu leiten.« Er lächelte, und es war ein grausames Lächeln. »Wir werden den Träumer dort angreifen, wo er nicht mit einem Angriff rechnet. Das ist es, was wir vorhaben.«
Jetzt wurde mir alles klar. »Ihr greift ihn im Traum an.«
»Ja.«
Scarlet fragte sich, warum er ihr das alles erzählte. Warum legte er all seine Karten auf den Tisch?
»Die Engel, die im Plaza sind, schlafen.« Lucifer ging zum Lebensbaum und verleibte sich eine weitere Traube ein. »Ihr Vater, Miss Hawthorne, ist ebenfalls in dem Traum. Er wartet dort bereits auf uns.«
»Er wartet
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