Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
auf mich?« Sie konnte die sinnlose Hoffnung, die in ihrer Stimme mitschwang, kaum verbergen.
Lucifer schüttelte das Haupt. »Er weiß nichts von Ihnen. Er weiß nicht, dass er eine Tochter hat.«
»Aber …«
Er schluckte die Traube. »Ich suchte ihn auf, in London. In seinem Haus in Marylebone.«
»Was wollten Sie von ihm?«
»Ist das nicht offensichtlich? Ich konnte mich nicht frei bewegen, nicht mehr. Es hätte die Aufmerksamkeit Lord Somnias auf uns gelenkt. Ich bat Mortimer Wittgenstein, die anderen Engel für mich ausfindig zu machen. Er sollte ihnen den Plan mitteilen. Sie alle sollten nach New York kommen. Hier wollten wir uns versammeln und gegen die Scharen der Dreamings und den großen Mr. Morpheus höchstselbst kämpfen, wie wir es früher schon einmal getan haben.« Er sah jetzt aus wie ein Raubvogel, der auf Beute aus ist. Er schlug mit der Faust in die flache Hand. »Vor zwei Jahren haben wir die Mala’ak ha-Mawet besiegt. Jetzt wird der letzte Kampf gekämpft.«
Lilith sah sorgenvoll zu Virginia.
»Und welche Rolle spiele ich in diesem Spiel?«, wollte Scarlet wissen.
»Sie sind der Köder. Lord Somnia hat Sie losgeschickt, um Wittgenstein zu suchen. Aber finden wollte er nur mich.«
»Und jetzt?«
»Jetzt hat er Ihre Spur verloren«, stellte Lucifer klar. »Er folgt Ihnen nicht mehr. Sie sind ein Tricksterkind, Miss Hawthorne. Und daher war es dem Träumer nicht möglich, Ihren Geist zu durchdringen. Die Dreamings können sich nicht in Ihren Träumen bewegen, weil Sie kein Geschöpf des
Träumers sind. Sie sind etwas anderes. Ein Wechselbalg. Etwas, wofür in der Natur eigentlich kein Platz vorgesehen war.«
»Aber meine Mutter«, gab Scarlet zu bedenken. Hatten die Dreamings sie nicht befallen?
»Ihre Mutter wurde betäubt, um Ihnen vorzutäuschen, dass ihre Träume sich in der Gewalt der Dreamings befinden.« Lucifer schnalzte mit der Zunge. »So ist er nun mal, Mr. Morpheus. Er hat gemogelt. Er hat sie vergiftet und behauptet, sie würde wieder erwachen, wenn Sie alles täten, was er von Ihnen verlangte.«
Scarlet blieb stumm.
»Er hat Sie hinters Licht geführt.«
»Das heißt, sie wird nicht wieder erwachen?« Scarlet musste an das denken, was die Engländerin im Havisham’s gesagt hatte. »Kann man ihr denn nicht doch noch helfen?« Wenn es kein Dreaming war, der ihren Verstand besetzte, dann musste es doch eine Rettung geben. Für jedes Gift gab es doch ein Gegengift. Das durfte nicht das Ende sein.
Lucifer schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was genau Mr. Morpheus mit ihr angestellt hat. Es gibt Gifte, die er in seinen Träumen kredenzt, von denen wir keine Ahnung haben.«
Scarlet schwindelte es. Sie dachte an Rima, wie sie inmitten der Rosenranken lag. »Aber warum bin ich jetzt hier?«, fragte sie. Noch immer sah sie keinen Sinn in alledem.
Lilith war es, die erneut sagte: »Sie sind dem Weg gefolgt, das ist alles. Es ist ein Zufall.«
»Das heißt, Sie werden uns nicht töten?«, brachte ich ein ernstes Anliegen auf den Punkt. »Wir müssen nicht sterben?«
»Irgendwann, Mistress Atwood, muss jeder einmal sterben.«
Scarlet überlegte. Etwas war nicht richtig. Das, was Lucifer sagte, war nicht gänzlich schlüssig. »Aber wie hätte ich Lord Somnia denn kontaktieren sollen, wenn ich meinen Vater gefunden hätte?«
»Er ist Ihnen gefolgt, die ganze Zeit über.« Lucifer wirkte ernst. »Jeder Schritt wurde von ihm überwacht. Er schwebte über Ihnen, sozusagen.«
Scarlet schaute auf. »Heißt das, er ist jetzt hier?«
Lucifer schüttelte den Kopf. »Er kann die Hölle nicht betreten, nicht diese Hölle. Er hat keine Macht über die Dinge, die seine Schöpfung erschaffen hat.«
»Deswegen haben wir die Nekir geschickt.« Lilith wirkte wie versteinert, sie hatte Angst.
Die Rorschachwesen, die uns gestochen hatten. Die Nekir!
»Ihr Gift hat Sie für einen Augenblick bewusstlos gemacht. Verzeihen Sie mir diesen Eingriff, aber er war unabdingbar für das, was wir vorhaben. In der kurzen Zeit, in der Sie beide ohne Bewusstsein waren, hat der Träumer Ihre Spur verloren. Jetzt sind wir vor seinen Nachstellungen sicher.«
»Was haben Sie vor?«
»Virginia wollte Sie töten lassen. Der Kojote war uns immer schon ein treuer Gefolgsmann. Doch als Sie das zweite Mal entkamen und drüben am Hell Gate auftauchten, da änderten wir den Plan.« Er lächelte, und Scarlet hatte erneut das Gefühl, nur eine Figur in einem viel größeren Spiel zu sein. »Sollten Sie doch
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