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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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weil die Menschen Dinge taten, die ihm missfielen. Sie dachten ihre eigenen Gedanken. Hinterfragten, was er ihnen aufgetragen hatte. Wurden ungehorsam.
    Also sandte er seine Scharen hinab zur Erde, gestrenge geflügelte Wesen. Sie hüteten argwöhnisch des Träumers Gesetze mit flammenden Schwertern und ernsten Gesichtern. Die Mala’ak ha-Mawet, so wurden diese Wesen genannt. Sie hatten Macht über die Menschen, weil die Menschen sich vor ihnen fürchteten. Und wer sich fürchtet, der ist schwach und kann leicht kontrolliert werden.
    »Aber die Menschen hatten noch ihre Träume. Und in den Träumen waren sie frei.«
    Scarlet erinnerte sich an Starbucks Erzählung von vorhin. Queequeg wusste, wie sich Ketten anfühlten. Er wusste, was Ketten bewirken konnten. Man mochte einen Menschen noch so in Ketten zwingen, man mochte ihm heftige Schmerzen zufügen und ihn demütigen. Man mochte vieles tun, was schrecklich und entwürdigend war.
    »In den Träumen waren die Menschen frei.«
    Was auch immer geschähe.
    »Das wusste der Träumer. Er haderte mit sich selbst, weil die Schöpfung, wie sich herausstellte, so fehlerhaft war wie er selbst.«
    So erschuf der Träumer eine weitere Kaste von Wesen, die ihm, neben den Engelsscharen, als treue Dienerschaft zugeneigt sein sollten. Er gebar sie aus den Träumen, die ihn schreiend erwachen ließen in der Unendlichkeit seiner tickenden Zeitlosigkeit.
    »Die Dreamings.«

    Sie waren ohne Form und so flüchtig wie die Gedanken, welche die Menschen vor den anderen zu verbergen versuchen. Sie waren wie der Wind, nur leichter, wie der Herzschlag, nur leiser, wie die Träume, nur viel, viel dunkler.
    Und sie bewegten sich wie Schlangentiere durch die fiebernden Träume, die Gestalt annahmen in der Menschen Köpfe und Gemüter. Sie konnten, wenn ihnen danach war, diese Träume verändern, wann immer sie wollten. Sie waren die Gaukler, die Trugbilder wisperten und die Bilder in den Spiegeln zu verzerren und zu verformen wussten.
    »Durch sie erlangte der Träumer die absolute Macht über seine Schöpfung.«
    »Eine interessante Geschichte«, schaltete sich Scarlet ein, »doch was haben diese Dreamings mit uns zu tun?«
    »Mancherorts in der uralten Metropole«, erklärte Queequeg geduldig, »da glauben die Menschen, dass die Dreamings zurückgekehrt sind. Sie glauben, dass die Schlafwandler, die man in der Nähe der Eistoten findet, nichts anderes als die arglosen Opfer der Dreamings sind. Nur Körper, die, Marionetten gleich, genau das tun, was ihnen jemand aufträgt.«
    Scarlet erschauderte, weil sie an Master Van Winkle denken musste. Konnte es wirklich sein, dass alles zusammenhing? Die Eistoten, die Dreamings, sie selbst und die Wendigo?
    Lady Solitaire?
    »Die Zigeuner vom Gramercy Park glauben, dass die Dreamings in den Träumen der Menschen nach etwas ganz Bestimmtem suchen.«
    »Wonach denn?«
    »Nach etwas, was der Träumer selbst nicht hat, aber gern besäße.«

    Scarlet dachte an die vielen Pflanzen-Schutzzauber, die bei den Eistoten gefunden worden waren. Sie dachte an die Menschen, die ihr Ende in Croatoan gefunden hatten: Eistote – und Vorfahren der Eistoten, die man hier in Gotham gefunden hatte. Sie dachte an die vielen Kinder, die auf Roanoke Island verschwunden waren. An die Abgesandten der englischen Elfenhäuser, die wieder in die weit entfernte Heimat zurückgekehrt waren. An die Wendigo, die nach ihr suchten.
    Wieder und wieder.
    An Lady Solitaire.
    Wo, in aller Welt, lag der Zusammenhang verborgen? Es musste doch einen geben. Sie glaubte nicht mehr an Zufälle. Es konnte nicht sein, dass so viele Dinge passierten und nichts miteinander zu tun hatten.
    »Die Dreamings, das glauben jedenfalls die Algonkin, machen sich die Körper der Menschen zunutze.« Queequeg ließ Scarlet und Jake nicht aus den Augen, als er das sagte. »Sie besetzen ihre Gedanken und bedienen sich der Hülle, die ohne eigenen Willen ist.«
    »Stehlen sie auch die Kinder?«, fragte Jake.
    Queequeg zuckte die Achseln. »Niemand kann sagen, wer die Kinder stiehlt. Es gibt Zeugen, die eine Frau gesehen zu haben glauben. Doch am Ende ist und bleibt es ein Rätsel. Eines von vielen Rätseln, die derzeit die Ruhe in Gotham erschüttern. Alles verändert sich, alles ist im Fluss.« Er seufzte tief. »Ich habe Nachforschungen angestellt und einiges herausgefunden.«
    »Was denn?«
    »Die Kinder betreffend«, gab er zur Antwort. »Denn Vorkommnisse dieser Art haben sich schon oft in der Geschich
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